Ich hätte da auch noch einen Punkt für Deinen Fragen-Katalog:
- Ist Glauben nur etwas für den "einfachen" Menschen;
- bzw.: hat der Glaube für wissenschaftlich Gebildete einen anderen Stellenwert?
- oder noch etwas anders gefragt: ist Religiosität bei einem Naturwissenschaftler überhaupt möglich?
Diese drei Fragen reizen mich sehr zur Beantwortung.
Der "einfachste" Mensch ist wohl das Neugeborene. Das Gehirn ist so gut wie nicht benutzt, einige Programme sind dort per Genetik hinterlegt, die Speicher sind noch so gut wie leer. Eines der Programme löscht gerade automatisch jeden Gedanken an das Geburts-"trauma". Die Ganglien und Synapsen sind bis auf wenige Hauptwege noch nicht gebildet, da sie erst durch "Denken", also benutzen, aktiviert werden und ihre Verzweigungsarbeit beginnen. Das Menschlein ist auf dem Weg.
Die ersten Eindrücke werden wohl noch durch die "Programmierung" geordnet und gespeichert. Aber der "Wissenschaftler" in ihm ist bereits voll bei der Arbeit. Die Körperwärme der Mutter wird als angenehmes Gefühl abgespeichert, mal experimentieren, ob's da auch was zu präppeln gibt, war ja früher genauso. Brust gefunden, Essen gefasst, erstes wissenschaftliches Experiment geglückt, Erfolg abgespeichert.
Die jetzt ungedämpften Geräusche, die an mein Ohr gelangen, kann ich noch gar nicht kennen, ich speicher sie mal ohne Erklärung ab. Um sie später vielleicht doch noch zu gebrauchen, kleb ich für für eine der kommenden Defragmentierungen (-Träume-) einen Aufkleber dran.
Und so gehe ich systematisch mit allen Informationen um, die mein kleines Gehirnchen erreichen. Die Theorie (-die Annahme-), das Körperwärme = Futter bedeutet, habe ich inzwischen um die Faktoren "mütterlich", "Hautkontakt" und vor allem "Geruch" erweitert, womöglich schon mit weiteren Attributen versehen, damit alles in meine Anfangstheorie hineinpasst. Durch Ausschluss anderer Faktoren (aus dem Versuch, von diesem anderen Riesenbaby, das immer um mich herum ist, Milch zu bekommen, z. B.) bin ich inzwischen
fast sicher, dass ich immer nur von einem der beiden bekannten Gerüche Futter bekomme. Futteraufnahme ist wichtig, wie mir mein "Programm" sagt, deshalb bin ich hier sehr genau und erstelle vorsichtshalber mal so eine Art Statistik. Bisher hab ich zwei Menschen kennen gelernt, wovon der eine sich besser anfühlt und besser riecht als der andere, wahrscheinlich, um mir zu sagen, dass es hier Energie zu tanken gibt. Der andere ist auch eher nett, aber jetzt nicht so wirklich nützlich. In vollem Vertrauen zu meinem "Programm" speichere ich auch diese Erkenntnisse zum späteren Gebrauch ab.
Unsere "wissenschaftliche" Vorgehensweise ist uns also, mehr oder weniger, als Arterhaltungs-"Programm" in die Wiege gelegt. Später werden wir immer auf diese Art Neues aufnehmen und entsprechend markieren, abspeichern.
Als Erwachsene haben wir den Bogen dann schon so gut raus, dass wir oft gar nicht mehr bemerken, wie "wissenschaftlich" wir eigentlich arbeiten. Dabei müsste es uns doch schon längst klar sein, an Hand der Erfindungen, die wir machen. Ein PC versucht z.B., diese Vorgänge zu imitieren: Eine Statistik zählt die Versuche und ihre jeweiligen Ergebnisse, nimmt die "positiven" Ergebnisse der Versuche als Bestätigung unserer Theorie und die negativen als Widerspruch. Überwiegen die negativen Ergebnisse, muss ich die Theorie überarbeiten oder über Bord werfen. Überwiegen die bestätigenden Ergebnisse, wird die Theorie bestärkt.
Bekomme ich nur Bestätigungen ohne Widersprüche, kann ich meine Theorie "glauben", was sprachlich etwa die stärkste Form der Vermutung ist. Aber eine Theorie zu 100% zu beweisen, ist eigentlich unmöglich. Es kann ja immer sein, dass ich bei meinem Testaufbau ein oder mehrere Faktoren falsch eingesetzt habe oder noch gar nicht kannte. Wenn z.B. eine noch nie vermutete neue physikalische Kraft mir mein Experiment "Fallobst" (Schwerkraft) versaubeutelt, muss ich die Abweichungen untersuchen, um vielleicht auf die Fliehkraft oder die Corioliskraft zu kommen.
Habe ich eine Annahme (Theorie), die mich und die Menschen, die ich gerne habe, weiterbringen könnte, kann ich sie vielleicht mal gerade mangels weiterer Kenntnisse nicht "beweisen". Ich "weiß" aber, wenn ich meine Leute einigermaßen heile durchs rote Meer und in fruchtbareres Land führen will, muss ich ihnen beibringen, dass sie sich unterwegs nicht gegenseitig beklauen, die Kamele oder die Frauen wegnehmen, und sich auch sonst halbwegs sozial betragen. Diese "Sozialgesetze" habe ich bereits fixfertig, aber wie bringe ich sie diesen verrohten Halbwilden und Exsklaven bei?
Als erfahrener Anführer und Kommandant weiß ich, dass für die Schlimmsten nur dann etwas Effekt hat, wenn es noch größer, noch zorniger, noch wilder, noch unberechenbarer ist als sie selbst. Also geh ich mal hoch auf den "Her Sinei" und denk mir da was aus. Wenn ich nun in einem Gewitter und mit viel Brimborium da wieder runter komme, glauben sie mir vielleicht, dass ich da oben mit so einem "Allmachtsdingens" da konferiert habe. Der hat mir gesagt, was ich Euch jetzt sage. Voilà, die zehn Gebote.
Meine Theorie über die Mosesstory ist mindestens so "glaub"-haft wie jede andere. Wahr muss sie deswegen nicht sein. Wir wissen ja, 100%ige Wahrheit gibt es nicht.
Wenn ich mir so die Theorien der Apostel oder Propheten jeder Couleur anschaue, und danach mal bei Plato (
Höhlengleichnis) vorbei kucke, weiß ich jedenfalls, was "glaub"würdiger ist.
Wir "wissen" (für mich: = glauben) heute sehr Vieles. Aber ein 100%iges Wissen würde voraussetzen, das wir in jede unserer Theorien Alles einschließen. Das setzte jedoch 100%iges Wissen voraus. Solch ein Versuchsaufbau ist nicht möglich.
@Palladin: Vielleicht kannst Du Dir aus dieser "Theorie" ein paar Fragen für den Unterricht ableiten. Auf jeden Fall würde ich mich mit dem Lehrer mal über das Höhlengleichnis fetzen. Oder denk mal nach, wie eine erste Begegnung zwischen Neandertalern und Cro-Magnon-Mensch verlaufen sein könnte, die beide zu unterschiedlichen Zeiten aus Afrika los gewandert sind und völlig unterschiedliche Erfahrungen gespeichert hatten. Möglicherweise haben die Neandies Bauklötzer gestaunt über die Fähigkeiten der Cro-Magnon-Menschen. Vielleicht haben sie die als "Götter" angesehen? Dann bräuchtest Du nicht auf den umstrittenen Däniken zurückgreifen, den mit den Aliens.