[Diskussion] Präimplantationsdiagnostik als Lebensretter?

Tequilla

assimiliert
Präimplantationsdiagnostik als Lebensretter?

Moin,

gestern Abend kam ein Bericht in Frontal21 der mich reichlich nachdenklich gemacht. Ich bin normalerweise strikter Gegner jeglicher Form der genetischen Veränderung ungeborenen Lebens wie sie z.B. in Deutschland verboten ist.

Ein Fall in Frankreich hat meine sichtweise dazu etwas verändert, allerdings bin ich mir immer noch unschlüssig was ich davon halten soll.

Der heute 6-jährige Noah leidet an einer Immunschwäche, septische Granulomatose genannt und hat praktisch keine eigene Abwehr gegen Angreifer jeglicher Art, nimmt täglich starke Antibiotika, lebt in einem Zelt.

Seine Mutter läßt sich künstlich befruchten. Elodie, so heißt die Kleine, wurde im Reagenzglas gezeugt, genetisch passend zu ihrem Bruder um ihm mit einer Knochenmarkspende zu helfen. Gemacht wurde das in einer Klinik in Belgien wo die Präimplantationsdiagnostik erlaubt ist.

Jetzt sind beide Operationen im Kinderspital Zürich durchgeführt worden. Elodie wurden 200ml Knochenmark abgezapft, eine sehr heftige Operation für ein 1-jähriges Mädchen die sie zum Glück gesund überstanden hat.

Das Transplantat war erfolgreich, Noah konnte das Zelt nach 6 Wochen verlassen, muß aber noch für ca. 6 Monate eine Atemschutzmaske tragen bis seine Abwehr so stabil ist, daß sie Umwelteinflüße aller Art selbstständig verarbeiten kann.

Für den Jungen freut es mich sehr, man kann sich wohl kaum vorstellen was es bedeutet hinter einer Plastikfolie zu leben. Das ist die positive Seite der genetischen Pfuscherei, wenn ich aber dran denke was das für Folgen haben kann, welcher Mißbrauch möglich ist, packt mich das kalte Grausen.
Meine Wissens ist das ein einmaliger Fall in der Welt. Ich bewundere den Mut der Eltern, man ist wohl zu einigem bereit wenn es um die Gesundheit eines Kindes geht, bin allerdings auch etwas von der Enormität dieses Schrittes den sie gegangen sind geschockt.

Einsortieren kann ich das noch nicht da das Positive in diesem Fall überwiegt.

Wie denkt ihr über so eine Art des Vorgehens?
 
Zur wissenschaftlichen Seite:
Genetische Pfuscherei war das nicht: Niemand wurde genetisch verändert.
Es wurde ein genetisch passender Embrio ausgesucht, also die Genetik nur als Diagnosemittel eingesetzt.

Zur moralischen Seite:
Schwierig. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass hier ein Lebewesen als "Ersatzteil" geschaffen wurde. Andererseits kennt man die Situation in der Familie nicht.
Wenn eh mehrere Kinder gewünscht waren, warum nicht dem Schicksal nachhelfen und ein passendes Kind kriegen, um das erste zu retten?
 
Ich hätte Probleme damit ein zweites Kind zu zeugen (egal ob auf natürlichem Wege oder per Reagenzglas) um einen Organspender für mein erstes Kind zu haben.

In diesem Fall war es "nur" für eine Knochenmarkspende, was ist wenn es sich beim nächsten Fall um ein lebensnotwendiges Organ handelt und der Spender dann nicht überlebt?

Und wer genug Geld hat lässt sich sicherheitshalber gleich mal einen zukünftigen potentiellen Organspender auf Lager legen.

Sorry, aber den Eltern hätte das Sorgerecht für das zweite Kind noch vor dem Eingriff entzogen werden müssen, wenn sich ein Kind in einem halbwegs verständigen Alter freiwillig entscheidet für ein Geschwister Organe zu spenden ist das eine Sache, wenn Eltern ein Kind "in Auftrag" geben um einen Organspender zu haben eine vollkommen andere.

Da hätte das Jugendamt (oder welche Behörde auch immer in Frankreich dafür zuständig ist) einschreiten müssen.
 
Bio-logisch schrieb:
Genetische Pfuscherei war das nicht: Niemand wurde genetisch verändert.

So hab ich das nicht gemeint. Für mich bleibt es aber Pfuscherei, da die genetischen Eigenschaften im Labor vor der Befruchtung angepasst wurden. Die Familie kann ich verstehen, ob eine weiterer Kinderwunsch da war oder nicht spielt da für mich keine Rolle.

Mich gruselt nur davor was möglich ist und vor allem was möglich gemacht werden kann.
 
Ich finde das im Grunde völlig verständlich. Wenn Der Eingriff beim 2. Kind ein vertretbares Risiko hatte, und wenn die Eltern beide Kinder danach gleich behandeln (also nicht "echtes Kind" und "Ersatzteilkind"), dann ist doch alles gut gelaufen. Es gibt Menschen, die aus wesentlich dümmeren Gründen Kinder bekommen.
 
Wir Menschen haben medizinisch Dinge geschaffen, mit denen wir moralisch Probleme haben.

Machen wir uns nicht schon immer zum Entscheider über Leben und Tod, auch als die Medizin noch nicht so weit fortgeschritten war?

Wir fügen uns nicht in unser Schicksal, das von vielen als von Gott gegeben gesehen wird, auch wenn nicht alle daran glauben.

Wir wollen bestimmen wer und ob jemand lebt und wir bestimmen auch, wenn jemand sterben soll.

Ich kann die Eltern schon verstehen, die alles tun wollen und dabei mit einem Restrisiko neues Leben aufs Spiel setzen.
Sie lieben ihr Kind und würden alles dafür tun, dass es ihnen nicht genommen wird.

Das kann man auch nicht so ohne weiteres begreifen und Humanität hat auch irgendwo Grenzen.
Allerdings sieht die Grenze jeder von einer anderen Position aus.
 
Die Moral hat die Menschheit noch nie davon abgehalten irgendetwas zu entwickeln. Das war bei der Atombombe so und das wird bei der Gentechnik nicht anders sein. Natürlich kann sich Deutschland oder auch ganz Europa da aus moralischen oder religiösen Gründen ausschließen. Dann darf sich aber in 10 oder 20 Jahren auch niemand beschweren wenn in der Medizintechnik z. B. Asien weit vor den Möglichkeiten in Europa rangiert.

Das man alles Gute auch ins Gegenteil verkehren kann ist nun mal leider so. Das Problem ist wie immer die Kräfte im Zaum zu halten die Böses damit anstellen wollen. Deswegen können wir aber die Wissenschaft nicht verbieten und den Fortschritt unterbinden, sonst sind bekommen wir das Mittelalter zurück.
 
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