Von Matthias Breitinger
Millionen TV-Zuschauer von der Algarve bis nach Sibirien hatten am Samstagabend die Qual der Wahl: Ein musikalisch abwechslungsreicher Eurovision Song Contest aus dem Sportpalast der ukrainischen Hauptstadt Kiew überzeugte mit einer insgesamt hohen Qualität. Eines lag in diesem Jahr eindeutig im Trend: der Griff zur Trommel. Mancher mag sich gar schon beim Eurovision Trommel Contest vermutet haben, denn bei vielen Ländern ging 2005 offenbar nichts ohne eindrucksvolle Schlaginstrumente.
Die rumänische Band Sistem drosch gar auf ausgediente Ölfässer ein, um Sängerin Luminita Anghel zu begleiten. Nicht ohne Erfolg: Rumänien landete auf einem respektablen dritten Platz. Die moldawische Ska-Band Zdob si Zdub hatte gar eine Oma mit großer Trommel mitgebracht, die allerdings die meiste Zeit im Schaukelstuhl auf der Bühne saß.
Genützt haben alle Timbales, Bongos und Trommeln nichts – der Sieg ging souverän an die Griechin Helena Paparizou. Da kam der Beat zwar von Band, aber der flotte Rhythmus und der Sirtaki-Tanz überzeugten das Publikum europaweit. Der Titel des Liedes war Programm: Etwas anderes als ein erster Platz kam für «My Number One» gar nicht in Frage, wie Komponist Christos Dantis nach dem Sieg beim Song Contest hervorhob. «Wenn wir mit einem Song namens 'My Number One' Dritter geworden wären, wäre das absurd gewesen.»
Doch die berühmten «douze points» für Griechenland hagelten nur so, und zwar nicht nur wie üblich aus Zypern, sondern auch aus Deutschland, Großbritannien, Belgien, Ungarn oder Schweden. Sogar den Türken war «My Number One» die Höchstpunktzahl wert. Nur wenige Länder vergaben für den Song gar keine Punkte.
Wer Trommeln nichts abgewinnen kann, wurde beim diesjährigen Song Contest mit E-Gitarren bedient. Selten war ein Grand Prix so rocklastig: Neben Vanilla Ninja – der estnischen Girl-Rockband, die für die Schweiz an den Start ging –, Deutschlands Gracia und Natalia Podolskaya aus Russland fielen vor allem die norwegischen Glam-Rocker Wig Wam aus dem üblichen Song-Contest-Rahmen. Die skandinavische Band landete auf Rang 9.
«Germany four points»
Aus deutscher Sicht endete der Grand Prix mit einem Desaster: Zwischen all den rockigen Tönen ging Gracia, die erst als 17. startete, unter, «Run & Hide» wurde mit gerade einmal vier Punkten Letzter. Riesig war daher die Enttäuschung unter den Gracia-Fans, die in Hamburg auf der Reeperbahn vor großer Leinwand das Spektakel aus Kiew verfolgt und ihrem Star die Daumen gedrückt hatten. Die Resonanz über das schwache Abschneiden reichte von «Völlig unverständlich» bis «Unverschämt».
Die Sängerin selbst zeigte sich nach dem Abend ebenfalls unglücklich: Sie habe alles gegeben, sagte sie anschließend, und würde im Nachhinein auch nichts am Song oder Auftritt ändern. Lakonisch stellte sie fest: «Es konnte nur einer Erster werden, und einer muss ja auch Letzter werden.»
Doch manche mochten auch eine gewisse Schadenfreude nicht verhehlen – das sei wohl die Strafe dafür, dass Gracias Song mit manipulierten Plattenverkäufen in den deutschen Charts gepuscht worden war.
Balladen unter den besten Fünf
Dass Balladen beim Eurovision Song Contest noch lange nicht out sind und zwischen Percussion und rockigen E-Gitarren hervorstechen, bewiesen in diesem Jahr die Beiträge aus Israel und Malta. Die maltesische Sängerin Chiara erreichte mit ihrer selbst geschriebenen Ballade «Angel» den zweiten Platz. «Hasheket shenish'ar», die teils in Hebräisch, teils in Englisch gesungene ruhige Nummer von Shiri Maimon, landete auf Platz 4.
Frankreich – in den letzten Jahren häufig auf Balladen gebucht, die teils gute Plätze erreicht hatten – schickte in diesem Jahr indes einen Popsong ins Rennen, der beim TV-Publikum durchfiel. Möglicherweise schadete «Chacun pense à soi» die späte Startnummer. Negativ fielen im qualitativ hochwertigen Starterfeld nur wenige Künstler auf, darunter insbesondere das spanische Trio Son de Sol, das für stimmliche Schwächen mit nur geringer Punktzahl abgestraft wurde.
Auffällig ist überhaupt das durchweg schlechte Abschneiden der so genannten «Big Four», also der großen Zahler-Länder in der European Broadcasting Union (EBU). Alle vier – neben Frankreich, Spanien und Deutschland noch Großbritannien – landeten in Kiew auf den vier Schlussrängen des Ranking.
Überraschend schwach bewertet wurde zudem der Beitrag der beim Song Contest erfolgsverwöhnten Schweden. «Las Vegas» von Martin Stenmarck erzielte gerade einmal Platz 19. Vielleicht lag es einfach an einem: fehlenden Trommeln.