Diese Woche, ich sezte 10 Euro
Ein Artikel aus der Berliner Zeitung, recht interessant:
Vom Sturzflug zum Linienflug
In den nächsten Tagen soll der Airbus A 380 zum ersten Mal abheben.
Bis zur Zulassung muss er harte Tests bestehen.
Jacques Rosay, Cheftestpilot bei Airbus, weiß auch schon genau, wie das Flugzeug in der Luft liegt. Das lässt sich am Computer berechnen. Gemeinsam mit Claude Lelaie, dem Leiter der Flugtestabteilung in Toulouse, hat er viele Stunden im Cockpit der Maschine verbracht. Sie sind von Toulouse aus in nördliche Richtung gestartet, sie haben die Vororte mit den blau schimmernden Pools hinter sich gelassen, sind dann nach Westen abgedreht, um am Pyrenäenrand entlang zur Atlantikküste zu gelangen. Über dem Golf von Biskaya wird der neue Airbus voraussichtlich die ersten Runden seines Testprogramms absolvieren. Was in der virtuellen Welt des Simulators funktioniert hat, muss sich dann in der Realität beweisen.
Beobachter in jeder Etage
Welcher der beiden französischen Testflieger bei der Premiere am Himmel das Kommando führen wird, ist noch offen. Wenn in den nächsten Tagen der A 380 zu seinem Jungfernflug abhebt, werden sich neben den beiden Piloten vier Ingenieure als einzige Passagiere an Bord befinden. Und da bei dem europäischen Gemeinschaftswerk der Proporz in jeder Hinsicht gewahrt bleiben muss, sind ein weiterer Franzose, ein Spanier, ein Brite und der deutsche Triebwerksspezialist Manfred Birnfeld mit dabei. Einer der Ingenieure wird im Cockpit Platz nehmen, zwei von ihnen sitzen im Hauptdeck und der vierte soll das obere Geschoss des Doppeldeckers im Auge behalten.
Vor dem Erstflug wurden zwanzig Tonnen Messausrüstung in dem Prototypen MSN 001 installiert, der bis auf weiteres ohne Passagierausstattung fliegt. Mit Wasserballasttanks in der Kabine wird das Gewicht von bis zu 600 Fluggästen simuliert. Der Inhalt der Tanks kann innerhalb des Passagierraumes hin- und hergepumpt werden, um den Schwerpunkt des Flugzeugs zu verschieben.
Bei dem ersten Einsatz des Prototyps werden zirka sechstausend Messungen vorgenommen, deren Daten zum Teil noch während des Fluges per Telemetrie an die Bodenstation in Toulouse übertragen werden. Das Flugzeug ist mit Sensoren bestückt, die Belastungen, Drücke und Schwingungen aufnehmen. Es geht aber auch um scheinbar so simple Werte wie Temperatur und Ölstand. Videokameras überwachen die beweglichen Teile der Maschine wie Flügelklappen und Fahrwerke. Zur Ausrüstung gehört auch ein Hecksporn, der verhindern soll, dass bei einem zu steilen Start der Rumpf des Flugzeuges über den Boden schleift.
Einzelheiten zum Ablaufplan des Erstflugs wurden nicht bekannt gegeben. "Wie lange sie oben bleibt und was sie dort macht, entscheidet die Crew während des Fluges", heißt es in Toulouse. Zum ersten Mal seit der A 340 vor vierzehn Jahren rollt bei Airbus ein völlig neues Flugzeug an den Start, bei dessen Konstruktion so gut wie gar nicht auf vorhandene Bauteile zurückgegriffen wurde. Auch wenn die Flugeigenschaften des Jets am Computer bis ins Detail simuliert wurden, müsse man auch auf Überraschungen gefasst sein.
Kamerateam im Begleitflugzeug
Kurz vor dem Erstflug des A 380 wird der Flughafen Toulouse für den gesamten Luftverkehr gesperrt, damit die neue Maschine bei eventuellen Störungen sofort zurückkehren kann. Als einziges Begleitflugzeug darf sich ein Firmenjet von Airbus in der Nähe des Flugzeuges aufhalten. An Bord dieser Corvette werden sich weitere Testingenieure befinden, die den äußeren Zustand des Flugzeuges beobachten und dabei kontrollieren, ob während des Fluges Teile verloren gehen oder Flüssigkeit austritt.
Ab in Richtung Atlantik
Um die Innenstadt von Toulouse nicht überfliegen zu müssen, startet der Airbus in nördlicher Richtung. Anschließend kreist er einige Zeit mit ausgefahrenem Fahrwerk und in niedriger Höhe im Luftraum. Gibt es bis dahin keine Probleme, wird sich die Crew in Richtung Atlantik verabschieden. Mit eingezogenem Fahrwerk und mittlerer Geschwindigkeit fliegt der A 380 seinem Testgebiet entgegen, wo er seine Runden dreht und - wenn alles gut läuft - bereits die Reisegeschwindigkeit erreicht.
Im späteren Betrieb des Airbus' wird der Bordcomputer die Fluglage überwachen und gegensteuern, wenn es gefährlich wird. Bei den ersten Testflügen ist dieses System noch nicht aktiviert, der Pilot steuert die Maschine praktisch per Hand. So setzt das Flugzeug jedes Kommando eins zu eins um. Bei zu hohem Anstellwinkel, enormer Beschleunigung oder im extremen Langsamflug ist daher die Kunst des Piloten gefordert.
Zwar ist nicht damit zu rechnen, dass das Flugzeug bei seinem Erstflug abstürzt, doch die Besatzung ist auch auf diesen Fall vorbereitet. Piloten und Ingenieure tragen Helm und Fallschirm. Zur Not können sie die Maschine über eine Rutsche recht schnell verlassen.
Auf Biegen und Brechen
Eigentlich ist der erste A 380 bereits das zweite Flugzeug dieser Baureihe. Die Null-Nummer ist jedoch nie geflogen. Sie absolviert in Toulouse spezielle Strukturtests. Dabei werden Rumpf und Tragflächen Belastungen ausgesetzt, wie sie im normalen Flug auftreten. Nach der Zulassung des A 380 wird dieses Flugzeug einer Testserie ausgesetzt, die das Material über das Erwartbare hinaus strapaziert. Zum Beispiel werden die Tragflächen so weit gebogen, bis sie brechen.
Bis der neue Airbus an die Fluggesellschaften geliefert wird, werden insgesamt vier Testflugzeuge des A 380 - der zweite wartet bereits auf seinen Jungfernflug - ein Jahr lang unterwegs sein. In der Regel sind 1 000 Flugstunden notwendig, um alle Parameter zu überprüfen. Dabei sind die folgenden Einsätze viel riskanter als der erste. Denn erst wenn die grundlegenden Flugeigenschaften gesichert sind, geht die Besatzung ans Limit. Zu den besonders anspruchsvollen Experimenten zählt der "Flutter"-Test, bei dem die Tragflächen künstlich in extreme Schwingungen versetzt werden, wie sie sonst nur bei sehr starken Turbulenzen auftreten. Ein modernes Verkehrsflugzeug muss zudem Sturzflüge in Hochgeschwindigkeit aushalten, es muss auf Airports in der Wüste mit vollem Schub starten können und auch bei Temperaturen von minus 50 Grad Celsius ohne Probleme anspringen.
Bevor der A 380 voraussichtlich im Sommer 2006 bei Singapore Airlines den Betrieb aufnimmt, wird er wochenlangen in einen simulierten Liniendienst geschickt, bei dem nicht nur Klimaanalage, Unterhaltungssysteme und Serviceabläufe an Bord überprüft werden, sondern auch das Prozedere auf den Einsatzflughäfen geübt wird. Anflug, Andocken, Betanken, Catering - alles muss probiert werden, ehe ein neues Verkehrsflugzeug seine Musterzulassung erhält.
Neun Jahre, nachdem bei Airbus die Entwicklung des A 380 begann, steht die Maschine zum Abheben bereit. Einen Unsicherheitsfaktor gibt es noch: Nebel in Toulouse. Die Concorde musste vor ihrem Erstflug 1969 eine Woche lang auf schönes Wetter warten.
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