Nichts passiert

unsteady

gehört zum Inventar
Dieser Bericht war ursprünglich eigentlich für den Winterwetter-Thread gedacht. Nachdem der allerdings gerade so gut noch läuft, stand zu befürchten, daß eher gelingen könnte, demselbigen mit so viel Blabla um eigentlich nichts, das passiert ist, eher ins Koma zu helfen, daher mach ich mal einen neuen auf ...

Grund dafür, daß mich noch beeindrucken kann, was Leute, denen das Wetter und die Ereignisse noch richtig ins Gesicht wehen, von keinem Hocker mehr reißt, ist, daß wir hier sozusagen am Hinterhof der Stadt wohnen, wo selbst die Sonne selten mal hinscheint und gleich schon gar nichts passiert, wenn überall sonst was passiert. Ich selber leide da wirklich sehr darunter, nachdem es früher das Herz der Stadt gewesen war, am Puls allen Geschehens sozusagen, und ich selber noch was mitreden hätte können.

Alsdann ...

Der 24.12. begann mit Schabegeräuschen, die durch die Fenster hindurch in meine Träume drangen: Frühaufbrecher kratzten dickes Eis von den Autoscheiben, fuhren danach mit durchdrehenden Reifen los, um möglichst frühzeitig an den Stauenden zu sein. Temperatur 0°C.

Wir sind dann wie vorgesehen mit den Öffentlichen zu unseren Kindern aufgebrochen. Den ganzen Weg zum Bus hin hatte ich Mühe, meinem Mann auszureden, daß Heiligabend wie Wochenende sei und wir dann alle zum Preis für eine einfache Fahrt mitgenommen würden (was sowieso nicht geht; ich weiß nicht, wie der drauf kommt). Am Busfahrer hab' ich ihn dann schnell vorbeigestoßen, bevor er den auch noch vollquatschen konnte.

Es hatte einen Hauch Neuschnee gegeben. Heraus aus dem Wohngebiet waren die Straßen völlig geräumt und lediglich naß noch. Den ganzen Weg haben wir uns unseren feigen Entschluß gegenseitig schöngeredet. Am Ziel dann waren wir einigermaßen besänftigt wieder und froh, nun also doch nicht mit dem eigenen Auto gefahren zu sein.

Die wohnen direkt am Wald, schmale Wege einen leichten Berg hinauf. Dort war aller Schnee noch in seiner Ur-Pracht und -höhe vollständig erhalten. Einen Schneepflug haben die da noch nie gesehen. Parkmöglichkeiten alle nur auf Privatplätzen (für Anwohner); an den Wegen eh schon immer nur sehr eingeschränkt erlaubt. Die Markierungen sieht unter dem Schnee eh kein Fremder - aber wer auch nur meint, wo keiner steht, wäre noch Platz, landet in aus unerfindlichen Gründen da überall angelegten flachen Gräben, die man genausowenig sehen oder auch nur vermuten würde. Für ein zuverlässiges Festfahren völlig ausreichend. Das sei jeden Winter wieder spaßig, wurde uns versichert ...

Nach dem erweiterten Familientreffen dann wieder mit dem letzten noch durchgehenden Bus nach Hause gewollt.

Inzwischen hatte es angefangen zu schneien. Nur erst 2 ... 3 cm. Wir waren zu früh losgegangen und trafen daher noch auf den vorletzten. Natürlich nahmen wir auf den letzten Metern die Beine in die Hand. Sehr zur Erbauung des Busfahrers, eines sehr berufserfahren dreinschauenden Herrn, und es brauchte keine besondere Gesten, zu sehen, was er gerade dachte, als unsere Blicke sich trafen: 'Wenn ich heute nicht daheim sein darf, reicht es für euch 20 min später noch allemal' - und fuhr mit angemessenem Tempo los ...

Ich wollte eigentlich, bevor wir am Mittag aufgebrochen waren, noch einen Beitrag schreiben, worin ich unseren Tagesplan bekanntgeben und damit im Zusammenhang explizit meine Hochachtung - schon immer ! - vor Busfahrern zum Ausdruck bringen wollte. Speziell denen, die an so einem Tag und dazu noch bei den vorausgesagten Straßenverhältnissen ihren Dienst tun müssen. Hatte dann aber noch so viel zu tun und es daher nicht mehr geschafft ...

Manche Dinge scheinen von einer Vorsehung so festgelegt, da kommt man dann auch mit mitleiderbettelndem Schauen oder vorsorglich lobhudelnden Beiträgen nicht dran vorbei ...

Leise rieselte also der Schnee - ... hätte man sagen können, wenn da nicht gleichzeitig ein scharfer Wind gewesen wäre, der uns diesen dann dennoch heftig um die Ohren blies. Das "Wartehäuschen" war ein Dachstreifen von 1 mtr. Breite; die Sitzgelegenheit vom Schneepflug angespritzt ...

Es fuhren Streuwagen durch (Tausalz - nachdem all jene in Pension zu sein scheinen, die vor Jahren Tausalz verboten und nur noch Granulat verordnet hatten, wovon man abgekommen war, weil es so schön rund war und also eh nur gleich wieder an die Fahrbahnränder rollte bevor einer auf Split gekommen wäre). Die angebrachten Schiebeschilde wollten man nicht abnützen. Nicht bei 3 cm Schnee schon. Lieber erstmal einen zünftigen Matsch fabrizieren.

Ganz "leichte winterliche Verhältnisse" also. Kein Grund, die Nerven zu verlieren und etwa vorsichtig zu fahren. Die ersten tobten bereits schon wieder mit gefühlten 80 Sachen durch die Nacht ...

Unser regulärer Bus kam daher dann auch pünktlich. Der Fahrer war ein fescher Bursche - man konnte vermuten, daß er eingesetzt worden war, weil er offenbar keine Familie hatte. Gelöst und souverän saß er hinter seinem Lenkrad und freundlich verzichtete er darauf, die Billets zu prüfen, wo einige immer erst anfangen wollen, die aus ihrem Rucksack zu kramen, wenn sie im Bus drinnen sind und hinter ihnen noch eine Schlange Leute, die auch rein wollen.

Man konnte auch bemerken, daß er sich noch ziemlich neu verhielt: Immer, wenn ihm ein Bus entgegenkam - die begrüßen sich ja bei jeder Begegnung - schaltete er vorn bei sich das Licht ein, damit der Kollege seinen Gruß auch bemerke. Die anderen taten dies jedoch nicht ...

Und man konnte ganz schnell merken, daß es ihm offenbar eine Lust war - ... die ichweißnichtwieviel PS, die so ein Bus hat, mal richtig auszutesten, wo er nun mal zu solch einem sicherlich unbeliebten Dienst eingeteilt war: Er beschleunigte, als würde er einen Sportwagen lenken.

Temperatur war -1°C, was schon mal stellenweise Glätte geben kann. Man konnte, auch ohne selber über das Gaspedal den Bodenkontakt zu erspüren, erahnen, daß es rutschig werden könnte. Naja ... wir ängstlichen Rückversicherertypen sind da offenbar die letzen, die so denken ... Daher verstehen wir auch nichts vom Busfahren. Dazu braucht's schnellentschlossene, schnell reagierende Kerle. Erfahrung ist erstmal weniger wichtig, die kommt mit der Zeit wahrscheinlich von allein ...

Man müßte freilich dazu dann auch die Zeichen verstehen ... Erst recht, wer einen Bus zu lenken hat. Spätestens, wenn er, wie der unsrige, an der ersten auf Rot umspringenden Ampel dann schon mal gleich bis zur Kreuzungsmitte weiterrutscht. Wer sonst gerade unterwegs war wird dabei gedacht haben, wie schwer es doch ist, solch einen großen Bus bei solchem Wetter noch zu beherrschen und diese "Ritter der Stadtstraßen" für einen schweren, verantwortungsvollen Job doch machen ...

Nun weiß der gemeine Busfahrer freilich aber auch, daß im Winter die Straßenverhältnisse an der nächsten Kreuzung schon wieder ganz andere sein können. Ein Pessimist oder Weichei nimmt den schlechteren Fall an. Wir aber fanden uns von einem Optimisten durch die Nacht chauffiert.

Ja doch ! Wenn man ohne erkennbare Erfordernis zu sehr rechts fährt, dann schleift so ein Wagenkasten schon mal an den Schneewällen am Fahrbahnrand entlang. Die Kunst ist dann, nicht schreckhaft zu sein und ganz allmählich erst nach 100 mtr. wieder etwas mehr zur Straßenmitte zu lenken. Nur die Ruhe bei sowas ! Und wenn die Fahrgäste dann Wetten abschließen, er würde über die nächste Haltestelle hinausschlittern, dann konnte er noch jedesmal das Gegenteil beweisen. Auf seine Art und tief im Innern irgendwo eben doch ein Routinier, der fest an sich glaubte ...

Zwar hat er, um eine Ampel noch zu schaffen, auch mal an einer Stelle überholt, wo eigentlich eine separate Spur für entgegenkommende Linksabbieger aufgemalt ist - ... unter dem Schnee sieht's ja aber doch keiner ... Das Überraschungsmoment ist manchmal alles. Wer bremst, verliert.

Und wenn man aus der Nebenstraße auf die Hauptstraße will - und hat schließlich einen Fahrplan einzuhalten - dann muß man da halt mal beherzt dazwischenfahren. Flieger bedanken sich in einem solchen Falle, indem sie mit den Tragflächen wackeln. Busfahrer, indem sie das Ding mal lustig ein wenig ausbrechen lassen. Da hatte dann wohl nur das Heckteil (Gelenkbus) verhindert, daß es eine Pirouette wurde.

Vielleicht war es ihm nun aber auch peinlich, denn nun wollte er erst recht schnell wegkommen. Und wie der Teufel es will, setzt er ihm genau dann einen von den Übervorsichtigen vor die Schnauze (so heißt das bei Autos ;) ). Auf der Nebenspur all jene, die mal lieber schnell noch vorbei wollten. Das nervt, wenn man da nicht rausgelassen wird. Bremsen will man aber auch wieder nicht. Wer sammer denn ?

Dann endlich die Gelegenheit: Lange, also etwa einen halben Meter, bevor der Abstand auf 1 mtr. herunter war, den Bus also kurz rübergerissen. Die Räder hatten ihren Einsatz wohl fast verschlafen und drehten erstmal wieder ordentlich durch, so daß er wiederum ausbrach und sich dem Störer nunmehr von der Seite her annäherte. Sollte der doch ruhig mal zittern und erkennen, was Leute wie er den Verkehr gefährden ! Doch befanden sich die Dinge in Bewegung, so daß außer einem Schrecken erstmal nichts war.

All diese Vorgänge kamen uns Außenstehenden, also Drinnensitzenden, ja auch nur so kraß vor, weil es eben nicht genügend naß und kalt war. Wären, wie in noch richtigen Wintern seinerzeit, die Scheiben ordentlich beschlagen gewesen, hätte sich auch niemand beunruhigen können ... Und Ihr hättet das alles hier nicht lesen müssen ...

Dabei war unser Spezi keineswegs einer dieser Verkehrsrowdies, die jenen verkehrsflußbremsenden Hosenscheißer jetzt sofort zu disziplinieren gesucht hätten, also - wie man das so macht - sich nun gleich wieder davorgesetzt und ermahnend mit den Bremslichtern gezwinkert. Im Rückspiegel könnte er ihn wohl noch beobachtet haben und ein wenig noch gedankenvergessen über die Mentalität solcher Leute sinniert. Ansonst hätten ihm seine Gedanken wohl früher eingegeben, daß er ja doch da wieder rüber nun muß - ... weil nach 300 mtr. blöderweise wieder Leute an der Haltestelle warteten. Naja ... wer langsam fährt, sollte wenigstens schnell bremsen können. Unser Busfahrer schaffte das unmittelbar vor ihm ja nun auch, wieder mal gerade noch.

Man soll ja auch nicht überängstlich sein und gleich eine Katastrophe jedesmal befürchten ... Und daher stiegen wir auch nicht an der vorletzten Haltestelle nun etwa gleich schon aus. Zwar quert da auf den letzten Metern dann noch eine Tram-Linie die Straße, und man hätte ja fürchten können, wenn er die Ampel davor dann auch erst wieder bei "Dunkel-Orange" nehmen würde, daß gerade dann eine ... von der Seite dann voll ...

Aber genauso hätten wir beim Überqueren dieser Gleise zu Fuß dann stürzen können, während der Trambahn-Fahrer sich gerade nach einer heruntergefallenen Zigarette bückt ... Denn vielleicht wäre der ja auch nur die "dritte Besetzung" ...

Mutig wollten wir den letzten Akt der Aufführung dann auch noch erleben. Ich war gefaßt wie wenn ich im Flugzeug sitze. Die Geschenke (unsere) waren sicher in ihren Originalverpackungen wieder verstaut und wären auch hinterher wahrscheinlich noch zu gebrauchen gewesen ... Schlimmstenfalls hätte ich heute keine Gans braten müssen.

Sowieso kommt immer alles irgendwie anders als man es voraussehen möchte ...

Ampel sprang um. Fahrer gab Gas. Was der Bus vor uns noch schaffte, dem wollte er schließlich nicht nachstehen.

Bus vor uns fährt an die gleich nach der Bahnquerung liegenden Haltestelle. Bremsen auf Schienen ist eh schlecht. (Mein Mann erklärte mir hinterher dann, daß das lustige Tuten bei fast allen Bremsvorgängen das ABS gewesen wäre ... ) Der Abstand nur noch wenige Meter. Was vorher mal Matsch gewesen war, hier aber nun irgendwie ... glänzte, hätte Böses ahnen lassen ...

... aber gerade das ist ja das, weswegen es eiserne Nerven braucht und ein schnelles Abwägungs- und Entscheidungsvermögen, um Busfahrer zu sein ...

Denn dieser verzichtete in solch völlig unvorhersehbarer Ausnahmesituation kurzerhand darauf, die Haltestelle weiter anzusteuern, schoß am haltenden Bus vorbei, kam - irgendwann dann - mitten auf dem Fahrstreifen zum Stehen, woraufhin wir uns endlich zwischen dreckigen Autos hindurch und bis zu den Knien in Schneeberge einsinkend in Richtung Gehsteig durchkämpfen durften. Heißt ja irgendwie auch so: "Geh' und steig' ... "

Wir waren die letzten Fahrgäste. Ich denke, danach wird er dann etwas eiliger und weniger verhalten in Richtung Betriebshof gefahren sein ...

Und so, wie wir uns auf der Hinfahrt gegenseitig zu beruhigen gesucht hatten, daß es irgendwo schon ganz richtig gewesen sein wird, das Auto stehen zu lassen, so redeten wir uns auf den letzen Metern durch den nun schon etwas stärker angewehten Neuschnee ein, daß wir doch noch ganz bequem nach Hause gekommen sind ...

Wir sind schließlich keine ängstlichen Naturen.
 
Jetzt weiß ich doch endlich, dass unsere Entscheidung, zu Hause zu bleiben, völlig richtig war.;)
 
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