Auf die Gefahr hin, den notorischen Onkelz-Hassern eine Steilvorlage zu liefern (Euch sei gleich gesagt, Ihr seid nicht gefragt
), muss ich meiner Enttäuschung doch irgendwo ein wenig Luft machen.
Heute erscheint sie ja nun endlich, die sagenumwobene DVD vom Abschiedskonzert "Vaya con Tioz" der Onkelz auf dem Lausitzring. Schlappe 85-90 Euro kostet das Set aus vier DVDs und einem dicken Booklet.
Das muss der echte Fan natürlich haben.
Oder vielleicht gerade nicht? Wer ist eigentlich ein "echter Fan"?
Ich hör(t)e seit Mitte/Ende der achziger Jahre Onkelz und würde mich dennoch nicht als "Fan" bezeichnen. Beim Stichwort Fan denke ich immer an Leute, die bedingungslos alles aufsaugen, Poster an die Wand hängen und alle als Deppen bezeichnen, die ihren Star nicht gut finden. Nein, so gesehen war ich nie ein Fan. Trotzdem besitze ich restlos alles, was (offiziell) jemals von den Onkelz veröffentlicht wurde, habe ein paar Dutzend Konzerte besucht und ganz früher, als die Konzerte eher größer geratene Parties waren, auch schon mal mit Kevin oder Stephan ein Bierchen getrunken.
Ich hatte damals nicht das Gefühl, dass das irgendwas besonderes sei, ebensowenig überkam mich die große Kommerz-Wehmut, als die Konzerte zu Massenveranstaltungen wurden und ein direkter Kontakt deshalb nicht mehr möglich war - so ist halt der Lauf der Zeit, und man hat sich über den erfolgten großen Durchbruch mitgefreut. So ein kleines bisschen stolz war man natürlich, schon viel früher dabei gewesen zu sein, und vielleicht bildete man sich auch ein wenig ein, durch den jahrelangen Support auch ein Stück dazu beigetragen zu haben.
Ein Fan war ich also nicht, vielleicht ein Freund? Nein, das klingt zu anmaßend und zu intim. Ich war, wie viele andere auch, ein Teil vom Ganzen. Teil einer Bewegung, für die "Böhse Onkelz" viel mehr war als nur Musik, sondern fast schon ein Stück Lebensgefühl.
Was hat mich so lange bei der Stange gehalten? Die Musik sicher nicht - man kann - ohne jemanden zu beleidigen - ruhigen Gewissens behaupten, dass die musikalische Leistung der Onkelz niemals preisverdächtig war. Solider Handwerker-Rock, der über Jahre hinweg von erfreulich wenig Innovation geprägt war - das trifft es meiner Meinung nach schon eher.
Die Musik war ja auch nur die notwendige Untermalung, sozusagen die Sättigungsbeilage zu dem, worum es hauptsächlich ging: Die Texte. "Reime aus dem Leben" - das war es, was so viele Leute anzog. Man sang die Lieder lauthals mit, weil man so viel von dem, was da besungen wurde, schon am eigenen Leib oder bei anderen erlebt hatte.
Da sang nicht die Kuh vom Eierlegen, das war das wahre Leben - mal euphorisch, mal traurig, manchmal auch obszön und gelegentlich einfach nur sinnlos.
Diese Authenzität war es, die mich und andere so angezogen und fasziniert hat. Darum traf es mich sehr hart, als man nach dem Abschlusskonzert und der Bandauflösung langsam und Stück für Stück erfahren musste, dass bei den Onkelz offenbar schon länger nicht mehr alles Gold war, was glänzte. Die Mitglieder der Band hatten sich auseinandergelebt und jeder strebte in sein eigenes Leben. Das ist völlig in Ordnung und kein Drama - was mich wütend machte war die Erkenntnis, dass mir in den letzten Jahren offenbar nur noch ein Produkt verkauft wurde.
Ob der Songtitel "Die Firma" auf dem vorletzten Album "Dopamin" schon ein Stück verzweifelte Selbsterkenntnis war? Ich mag es nicht unterstellen, aber es würde leider nur zu gut und mein Bild passen.
Unerträglich wurde es für mich dann, als die Ex-Onkelz anfingen, sich in der Öffentlichkeit mit Dreck zu bewerfen.
Da setzte sich bei mir die Erkenntnis durch, dass die Jungs zuletzt einfach nur noch ihren Beruf ausgeübt haben - und der bestand darin, das Produkt Böhse Onkelz für die eigene "Böhse-Onkelz Management-Aktiengesellschaft" mit maximalem Profit an den Mann zu bringen.
Darum fällt es mir schwer zu glauben, dass der unverschämt hohe Preis der Lausitz-DVD wirklich auf die enormen Kosten für deren Produktion zurückzuführen ist. Wenn ich mir zum Beispiel "Live 8" anschaue, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass die Produktionskosten um die Hälfte niedriger waren - trotzdem bekommt man dieses DVD-Set zum angemessenen Preis.
Nein, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier einfach ein letztes Mal so richtig Kasse gemacht werden soll. Auf die Fangemeinde ist Verlass, die DVD ist vielerorts gleich am ersten Tag ausverkauft. Ich hab keine - nicht weil ich zu spät kam, sondern weil ich sie für diesen Preis nicht haben will.
Wenn jetzt einer sagt "dem echten Fan ist das egal", dann will ich nicht mal widersprechen - wie eingangs erwähnt, ich bin keiner.
"Jede Revolution macht sich auf und davon - Kommerz hat gesiegt, kauft und seid lieb" - diese Textzeile aus dem letzten Album der Onkelz war sicher nicht autobiografisch gedacht, ist es nun aber mit erschreckender Deutlichkeit geworden.
Jetzt fehlt nur noch die "Best of" im Weihnachtsgeschäft, am Besten noch mit drei oder vier bisher unveröffentlichten Titeln, dann ist die Sache rund. Auch die wird man dann vergeblich in meiner Sammlung suchen.
Da halte ich es lieber mit dem alten Onkelz-Song "Zeit zu gehn" von 1996:
Wenn Freunde nicht mehr sind, was sie mal waren,
wenn sie Dir nichts mehr geben, vergiss ihre Namen.
Das gilt für mich im übertragenen Sinne auch für Rockbands.
In diesem Sinne: R.I.P., Böhse Onkelz