Microsoft und FOSS: Wenn die Fassade zu bröckeln beginnt…

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Microsoft und FOSS: Wenn die Fassade zu bröckeln beginnt…

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Microsoft arbeitet schon seit einigen Jahren daran, eine neue Offenheit zu zeigen und hat zahlreiche Projekte wie die PowerShell und .NET als OpenSource-Projekte veröffentlicht oder mit Projekten wie den neuen PowerToys und Visual Studio Code neu gestartet. Auch die Übernahme von GitHub und der Beitritt zu Organisationen wie der Linux Foundation wurden als Zeichen des Wohlwollens gewertet. Mittlerweile haben jüngste Ereignisse aber einen Schatten auf die warmen Worte geworfen und besonders die Spannungen mit der eigenen .NET-Entwickler-Community nehmen deutlich zu.

Das jüngste Kapitel in dieser Sache wurde vor zwei Tagen öffentlich, als Microsoft in letzter Minute mit Hot Reload in dotnet watch ein zentrales Element aus dem .NET SDK entfernt hat und es nach derzeitigem Stand exklusiv für Visual Studio 2022 kommen wird. Später soll die Unterstützung in Visual Studio for Mac zwar nachgereicht werden, aber de facto sitzen Entwickler, die andere Werkzeuge wie Rider oder Visual Studio Code benutzen, nun auf dem Trockenen. Microsoft begründet das in Person von Dmitry Lyalin, der neben Hot Reload unter anderem auch für .NET MAUI zuständig ist, zwar mit einer notwendigen Priorisierung aufgrund der verschiedenen Nutzungsszenarien, aber glaubt man The Verge, spielen hier andere Dinge eine deutlich größere Rolle.

Die Entscheidung, die Funktion raus zu nehmen, wurde nicht auf der Ebene von .NET-Chef Scott Hunter getroffen, sondern soll von Microsofts oberster Entwicklungschefin Julia Liuson ausgegangen sein. Einerseits geht es um eine wirtschaftliche Entscheidung, von der Microsoft gehofft hat, sie würde weitgehend geräuschlos unter dem Radar bleiben. Laut The Verge hat die Sache aber auch für enormen Widerspruch von Entwicklern innerhalb des Unternehmens gesorgt, allerdings wurden diese klar angewiesen, es hinzunehmen und sich nicht zu beschweren.

Brisant ist die Angelegenheit auch deshalb, weil Microsoft schon seit einiger Zeit negativ auffällt. Im vergangenen Jahr hatten wir schon Kontroversen um .NET MAUI und WinGet, ehe die Entwickler von MauiKit in diesem Jahr mit einem Microsoft-Partner erneut ins Gericht gingen. Sehr hitzig wurde es aber Anfang Oktober, als die Spannungen innerhalb der .NET Foundation endgültig überkochten und die Organisation in eine echte Krise manövriert haben. Der bekannte .NET-Entwickler und Microsoft MVP Tim Corey hat das in einem langen Video auf YouTube vor einigen Tagen sehr schön zusammengefasst.


Die Vorwürfe, die in diesem Rahmen erhoben wurden, wiegen schwer und stellen die Unabhängigkeit der .NET Foundation, so wie sie Microsoft eigentlich erdacht hatte, sowie ihren Mehrwert für die .NET-Community mittlerweile sehr in Frage. Hinzu kommen andere Vorwürfe wie der fehlende Respekt gegenüber den Entwicklern und auch die Ausnutzung der eigenen Machtposition, weil die .NET Foundation ohne die Einwilligung der Projektleiter diverse Projekte unter das Dach der eigenen GitHub-Organisation gezogen und die vorherrschende Kontrolle darüber übernommen haben soll. Die Ereignisse haben dann letztlich auch zum Rücktritt von Claire Novotny geführt, die als Executive Director für Microsoft in der .NET Foundation tätig war.

Vor einigen Tagen veröffentlichte Reed Copsey Jr., der als Executive Director der F# Software Foundation fungiert und damit der Organisation von Microsofts funktionaler Programmiersprache vorsteht, ein eigenes Statement auf GitHub, auf das unter anderem auch Miguel de Icaza von Microsoft, der früher unter anderem auch Mitbegründer der Gnome Foundation war, reagierte. Generell gibt es aber zahlreiche Äußerungen zu den Ereignissen, die auch von zahlreichen professionellen Entwicklern, Microsoft MVPs und ehemaligen Mitarbeitern des Unternehmens stammen. Die Entwickler bei JetBrains, die für die Rider-IDE zuständig sind, deuteten unterdessen in einem Tweet an, dass sie an einer Implementierung von Hot Reload wohl festhalten wollen.

Was denke ich darüber?

Offen gesagt war ich mir lange unsicher, ob ich das Thema hier in einem eigenen Beitrag aufgreifen soll, aber in der Summe baut sich da für Microsoft aktuell ein ziemliches Pulverfass auf, das ihnen noch um die Ohren fliegen kann. Bei dem Thema geht es ja nicht vorrangig um die Belange der kleinen Hobbyentwickler, die vielleicht ein erstes Spiel mit der Unity-Engine erstellen wollen. Hier beschweren sich Microsoft MVPs, aktuelle und ehemalige Mitarbeiter von Microsoft, sowie Entwickler, die .NET in verschiedenen Szenarien auch plattformübergreifend professionell einsetzen. Microsoft setzt also die Axt an der Wurzel an, deren Stamm die wichtigste Entwicklerplattform des Unternehmens trägt. Und bei der Größe und der Relevanz von .NET ist Microsoft hier in einer Machtposition, wie sie nur wenige andere Unternehmen wie zum Beispiel Oracle mit Java haben.

Über die Gründe kann man reichlich spekulieren, aber für mich persönlich läuft es eigentlich darauf hinaus, dass Microsoft hier etwas Ähnliches versucht wie Google bei Chromium. Tatsache ist ja, dass Microsoft in den vergangenen Jahren hier clever investiert hat. Sie haben mit GitHub die wichtigste Entwicklerplattform, mit Visual Studio Code den beliebtesten Code-Editor, viele Verbesserungen in Windows für Entwickler (Windows Terminal, WSL 2 etc.) und sie haben viele Technologien von .NET über Webtechnologien bis hin zu C++ deutlich enger an die eigenen Werkzeuge und Produkte gebunden. Nun scheinen die Redmonder zumindest in Teilen die Daumenschrauben wieder deutlich anzuziehen und geben die Richtung von .NET und seiner Community wieder deutlich zentraler vor.

Natürlich ist es noch viel zu früh, um abschließend zu beurteilen, in welche Richtung sich das Thema entwickelt, aber der Gesamteindruck, den Microsoft hier vermittelt, wird letztlich zunehmend schlechter. Die kleinen Fische in einer Community zu missachten, ist zwar mies, aber für ein Unternehmen wie Microsoft unbedeutend. Stößt man die großen Brocken vor den Kopf, die für die Vitalität des eigenen Ökosystems in welcher Form auch immer von ganz zentraler Bedeutung sind, weil sie diese z.B. in die Unternehmen tragen, wird es kritisch. Letzteres riskiert Microsoft mit Ereignissen wie diesen zunehmend.

Es gibt zwei Dinge, die Microsoft wissen muss: Erstens ist .NET zwar immer noch sehr groß und relevant, aber es ist nicht mehr alleine, denn andere Optionen wie Flutter von Google oder die webbasierten Technologien sind auf dem Vormarsch. Zweitens besteht zumindest die theoretische Möglichkeit, dass .NET an sich geforkt wird und die Community sich dann spaltet. JetBrains gehört zu den Unternehmen, die einen solchen Prozess zweifelsohne führen könnten und die mit Rider und ReSharper auch passende Entwicklerwerkzeuge haben.

Solche Szenarien kann Microsoft jedenfalls auf keinen Fall wollen und deswegen ist es umso wichtiger, dass die künftige Ausrichtung der .NET Foundation geklärt wird und Microsoft sich auch klar zu den Plänen mit .NET als OpenSource-Projekt äußert. Dass sie wie so oft auch nicht klar und deutlich kommunizieren, was sie wollen, hat sicherlich auch zu den aktuellen Kontroversen beigetragen.

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