Diskussion Medienstrukturkrise - nun können wir alle Reporter werden?

Gamma-Ray

Moderator
Teammitglied
Wirklich guter Journalismus wird immer seltener. Gründe dafür gibt es genug, das Internet mag ein Grund sein, das dürfte aber nicht entscheidend sein.
Nun spricht man inzwischen von einer Medienstrukturkrise, die die Printmedien immer mehr zu Entscheidungen zwingt, bis hin zur völligen Aufgabe durch Journalistenbesetzung in der Redaktion.

Ein weiterer Grund dürfte die Pressefreiheit in Deutschland sein, denn auch wenn man meint, dass hierzulande die absolute Meinungsfreiheit gilt, so ist Deutschland nur auf dem 17. Platz international, was nicht unbedingt schlecht sein muss. Doch die Gründe liegen hier sehr unterschiedlich und es sind keine Machthaber bei uns
am Ruder, die Kritik verbieten, es sind politische Gruppierungen außerhalb unserer Demokratie, die drohen und erpressen, wie man hier in der Welt lesen kann.

Aber sind wir nicht alle Journalisten? Oder was treibt jemanden dazu ein Projektexperiment zu machen, das sich Krautreporter nennt? Abgewandelt von Crowd (Volk) wäre das so etwas wie ein Volksreporter, was für mich den üblen Beigeschmack einer großen blöden Volkszeitung hat.
Krautreporter ist eine neue Plattform für Journalismus-Crowdfunding. Kleine und große Beiträge von Online-Unterstützern ermöglichen journalistische Projekte. Wie das funktionieren könnte, darf man hier nachlesen.

Vielfalt ist ja schön, aber ob das wirklich so funktioniert und welche Veränderungen insgesamt auf uns zukommen, das dürfte spannend sein. Ebenso spannend, wie sich Printmedien in Zukunft finanzieren, wenn das Volk alles online lesen will, aber nichts bezahlen. Geht man in die Bezahldienste auf den Onlineplattformen der Printmedien, dann kann das ganz schön teuer werden, je nachdem wo und was man lesen will.
Aber haben wir ein Interesse bzw. ist es uns egal, wenn die großen Printmedien dahin sterben und jeder irgendwas schreibt? Werden wir in Zukunft dadurch nicht noch mehr manipuliert?

Ich bin mal gespannt, wie das Volksexperiment weiter geht und wer das überhaupt finanziert. Leute, die schreiben wollen, müssen auch gut recherchieren und sie müssen eine entsprechende Ausbildung haben.
Bei uns in der Firma gibt es ja so einen "Buschfunk", über den Neuigkeiten und üble Gerüchte ausgetauscht werden, das mag manchmal interessant sein oder gar der Wahrheit entsprechen, hat aber nichts mit echten Nachrichten zu tun. Ob ein Flurfunk so ähnlich funktioniert?
 
Guter Journalismus braucht vor allem eins: Zeit ...

... und natürlich eine dazu gehörende, ausreichende finanzielle Absicherung, so dass man sich die Zeit nehmen kann, ggf. über Monate oder vielleicht auch Jahre recherchieren und auch eigene qualifizierte Kommentare und Analysen dazu verfassen zu können, ohne zwischenzeitlich etwas davon veröffentlichen zu müssen. Auch die Kosten (Reisekosten, Informanten etc.) einer Recherche müssen gedeckt werden.

Man möge bitte keinen Reporter (Berichterstatter) mit einem investigativen Journalisten verwechseln. Investigative Journalisten sind das, was öfters als 4. Gewalt im Staat bezeichnet wird, denn sie sind manchmal das Einzige, was zwischen uns und Machenschaften steht, die sonst verborgen blieben - aber leider werden auch diese Leute, bis auf wenige Ausnahmen, aussterben, da niemand mehr ihre Berichte liest. TL;DR und 3s Aufmerksamkeitsspanne lassen grüßen.

Vielleicht kann ja eine Plattform wie Krautreporter so etwas finanzieren, bloß:
  • Wer finanziert ein nicht wirklich prestigeträchtiges Projekt und warum soll man ein Projekt finanzieren und abgesehen von vielleicht symbolischer Anerkennung nichts davon haben?
  • Wo ist der Pool für Projekte, die interessant sein könnten, deren Finanzierung aber um z.B. 100€ gescheitert ist, also im Prinzip hätte funktionieren können?
    Das "Alles oder Nichts" Prinzip bedeutet:
    Das Geld wird rückgebucht, der Journalist bekommt garnichts und darf das Projekt innerhalb eines Jahres nicht einmal erneut einreichen. Entsteht dadurch nicht eher der Zwang, lieber zu wenig als eine passende Summe zu fordern?
  • Was passiert bei unvorhergesehen auftretenden Kosten?
    Ein Journalist muss kein BWLler sein und alles im voraus kalkulieren können, bei einigen Sachen geht das noch nicht einmal.
  • Was passiert, wenn das Projekt nicht so läuft, wie ich es mir vorgestellt habe, also im Prinzip etwas anderes damit finanziert wird, als ich eigentlich wollte?
    Gegenüber einem Verlag muss sich ein Journalist für die Qualität seiner Arbeit verantworten, Krautreporter lehnt jedoch jegliche Verantwortung für die Qualität der Arbeit ab, muss ich denn dan "Journalisten" auf eigene Kosten auf Schadensersatz verklagen?
  • Bekomme ich einen Anteil wenn der Artikel/Film etc. einschlägt wie eine Bombe und den Journalisten reich macht?
    Kein Neid auf meiner Seite. Eine kleine anteilige Dividende wäre dennoch nicht schlecht. Krautreporter bekommt auf alle Fälle 5% der Fördersumme ;)

Guter Journalismus kostet halt Geld, denn von irgendetwas müssen die Journalisten auch leben und IMHO sollen gute Journalisten auch gut davon leben können. Krautreporter verschafft ihnen nicht die nötige Sicherheit, sich evtl. über Jahre mit einem Projekt zu beschäftigen und es, wenn es eine Sackgasse war, einfach in die Tonne treten zu können. Alleine deswegen schon kann es die derzeitige Form des durch Verlage abgesicherten investigativen Journalismus nicht wirklich ersetzen.

Nur Schade, dass die Verlage das auch immer weniger zahlen und dank solcher Plattformen wahrscheinlich in einiger Zeit sogar darauf bestehen werden, dass der Journalist alles selbst vorfinanziert ...

edit:
ot:

Anmerkung zum im Startbeitrag verlinkten Welt Artikel - oder: Traue keiner Studie, die Du nicht selbst in Auftrag gegeben hast ...
Welt.de schrieb:
In China sitzen fast 70 Blogger im Gefängnis.
quelle

Wie? Nur so wenig? In Europa dürften es mehr sein und ganz Europa hat nur ca. halb so viele Einwohner wie China.

Nur zum Anschauung: Deutschland ist gerade mal etwas bevölkerungsreicher als eine der 20 chinesischen Provinzen, wir sprechen hier von einem Land mit 1.3 Milliarden Menschen und nach Schätzungen über 200 Millionen Bloggern. Die Anzahl der Einsitzenden sagt nichts, wenn nicht die genauen Gründe dafür genannt werden.

Wenn hier jemand dreiste Lügen über jemanden verbreitet, abgemahnt wird und dennoch weiter macht und sich weigert zu zahlen, landet die Person im Knast.
Einschränkung der Pressefreiheit?
Bestimmt nicht!

Wenn z.B. hier jemand sein Blog mit Hakenkreuzen pflastert, NS Parolen schwingt und zur tatkräftigen Gewalt gegen den Staat aufruft und sich nach Aufforderung weigert, diese zu entfernen, wandert er auch in den Knast.
Ist er dann ein politischer Häftling?
Nein, dann ist er ein ganz normaler Straftäter.
Ist das auch eine (unangemessene) Einschränkung der Pressefreiheit?
Das finde ich nicht!

Honi soit ...
 
Zuletzt bearbeitet:
Irgendwie habe ich das Gefühl, Du ziehst da gerade eine Vorurteils-Schublade auf, was die Blogs im Allgemeinen angeht.
Wenn Du damit aber sagen wolltest, dass wir gerade in Deutschland noch viel zu wenig gute Blogs und Blogger haben, dann gebe ich Dir uneingeschränkt Recht.
Das hat zwei Hauptgründe - und damit greife ich auch mal in die Vorurteils- und Pauschalierungskiste:
1.) Wir Deutschen meckern zwar viel und gerne - das heißt aber noch lange nicht, dass wir deshalb eine Idee hätten, wie man etwas besser machen könnte - geschweige denn, dass wir uns selbst irgendwie in der Verantwortung sehen würden, selbst etwas zu einer Veränderung beitragen zu müssen.
2.) Ein einzelnes Blog ist ziemlich wertlos - durch geschickte Vernetzung kann man aber eine publizistische Mach erzeugen, von der selbst die großen Verlage nur träumen. Während man das in anderen Ländern längst begriffen hat, schaut man hier sehr oft missgünstig auf die anderen und ärgert sich, wenn jemand zehn Besucher mehr hat.
 
Falls Du mein OT meintest:
Nein und ich habe auch keine Ahnung, wie Du darauf kommst.
Damit wollte ich lediglich die Zahlen gerade rücken, die in dem im Startbeitrag verlinkten (und imho schlecht recherchierten) "Welt" Artikel zu lesen waren. Man muss das halt in der richtigen Dimension sehen, ansonsten läuft man sehr schnell Gefahr, Demagogie aufzusitzen.

Aber wo wir schon mal dabei sind:
Blogs in anderen Ländern (und ich lese viele davon) sind meistens auch kein investigativer Journalismus sondern eher Reporterarbeit. Gut und wichtig, in einigen Ländern sogar die einzige Quelle um überhaupt an vernünftige Informationen zu kommen (z.B. auch Italien, in dem Berlusconi immer noch die unangefochtene #1 in der Medienlandschaft ist), aber kein Ersatz für echte Recherche über einen längeren Zeitraum, die es nicht nur ermöglichen würde herauszufinden was passiert, sondern auch warum es passiert - denn das ist öfters der eigentlich interessante Teil. Ohne die Information warum etwas so ist, wie es ist, ist das was oft eher nebensächlich, wenngleich auch für die Betroffenen nicht unbedeutend, denn ohne das nötige Hintergrundwissen kann man es nicht ändern.
 
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