Hinterbänkler

chmul

Moderator
Teammitglied
Seit einiger Zeit gehört die Firma, bei der ich arbeite zu einem Konzern mit mehr als 60.000 Mitarbeitern. Dieser Konzern ist weltweit tätig und veranstaltet regelmäßig live Webcasts bei denen uns Mitarbeitern unter anderem so genannte "Success-Stories" gezeigt werden oder einfach die Belegschaft einer der über 400 Firmen, die zum Konzern gehören. Die stehen dann mit Fähnchen und/oder Firmen-T-Shirts hinter ihrem Chef/ihrer Chefin und winken lächelnd in die Kamera. Manchen dieser Fähnchen schwenkenden Lächler sieht man sogar an, dass ihnen das richtig Spaß macht. Sie freuen sich dabei zu sein. Und ihr Fähnchen zu schwenken. Und zu lächeln.

So bin ich nicht.

Nun ist es natürlich nicht so, dass ich nie lächle (wenngleich meist arrogant mit mitleidigem Blick und leichtem Kopfschütteln). Nein, ich lache sogar manchmal. Aber sicher nicht hinter meinem Chef stehend bei einem Webcast. Und schon gar nicht mit Fähnchen. Aber auch nicht im Fußballstadion, wo ich begeistert zur Anzeigetafel winke, weil ich da überlebensgroß zu sehen bin. Von der Seite.

Oder bei Hochzeiten, Polterabenden oder Jubiläen. Interessanterweise gibt es auf jeder dieser Veranstaltungen immer mindesten einen Menschen, der begeistert ist von lustigen Spielen (man stelle sich beim Lesen dieses Satzes Airquotes um das Wort lustig vor!). Als NAA (nicht anonymer Asozialer) scanne ich in der Regel den Raum schon ab der Ankunft nach potentiellen Tätern und verspüre dann im weiteren Verlauf einen starken Harndrang, wenn einer davon ganz aufgeregt auf den DJ zugeht und nach dem Mikro verlangt.

Wie dem auch sei, solche betont aufgeregt fröhlichen Aktionen sind wirklich nicht mein Ding. Ich versuche sowas von vorneherein zu vermeiden (durch Absage) oder falls eine Absage von besserer Hälfte als nicht bewilligbar abgelehnt wurde, dann eben durch Flucht kurz vor dem Ernstfall. Damit komme ich in der Regel auch durch. Aber eben nicht immer. Zum Beispiel wenn eingangs erwähnter Konzern - und damit mein Arbeitgeber - Geburtstag hat, deshalb der Chef des Segments himself bei uns zu Gast ist und auch wir dieses Mal eine Live-Schalte im Webcast machen.

Damit ich gar nicht erst Gefahr laufe im Bild zu sein, wenn es soweit ist, habe ich mich in die letzte Reihe gesetzt. So waren etwa 50 bis 60 Leute als Puffer zwischen mir und dem Ort des Geschehens. Als unser Standortchef dann erklärte, wann wir winken und "Happy Birthday" rufen sollen, freute ich mich, dass ich nicht einmal wie bei diesen unsäglichen Geburtstagsständchen passende Mundbewegungen machen musste. Ein cleverer Schachzug.

Dachte ich.

Tatsächlich saß ich auch in der letzten Reihe, während der Webcast startete und ich konnte milde lächelnd beobachten, wie meine Kollegen in Australien, China, Schweden und Vietnam Fähnchen schwenkend in die Kamera lachten. Allerdings kam kurz vor unserem großen Auftritt plötzlich Bewegung in die Zuschauerreihen. Alle standen auf - OK, verständlich, es jubelt sich besser im stehen - und drehten sich um! Wait, what?

Ja, die Kamera für unseren Live-Auftritt war hinter uns aufgebaut. Von einer Sekunde auf die andere änderte sich meine Situation grundlegend. Eben noch lächelte ich meine Kollegen milde aus, dann verging mir das Lachen, nur um direkt anschließend in der ersten Reihe stehend meinem Arbeitgeber begeistert lächelnd "Happy Birthday" zu wünschen.
 
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