Information chmul bewahrt die Ruhe!

chmul

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Wer mich oder zumindest meine Geschichten oder wenigstens einige meiner Geschichten kennt, wird überrascht sein zu erfahren, dass das Leben nicht einfach ist. Und auch wenn das ja keiner behauptet hat, diese Erkenntnis ist deshalb nicht weniger beängstigend.

Ich war ein geradezu vorbildlicher Schüler und wusste schon sehr früh, welchen Beruf ich einmal erlernen wollen würde. Schon im zarten Alter von 14 Jahren hatte ich ein klares Bild von meiner beruflichen Laufbahn und den dafür notwendigen Schritten. Zunächst den Abschluss der Schule, nach dem Dienst als Mitbürger in Uniform dann eine Lehre und schließlich der der Start ins Berufsleben. Sauber durchgeplant und mit klarem Fokus durchgezogen.

MÄÄÄÄÄP!!!!1ELF (Das ist die schriftliche Version des Geräuschs des großen roten Buzzers in sehr laut)

Ich hatte keinen Schimmer was ich dereinst einmal machen will. Selbst gut gemeinte Vorschläge, wie der meines Französischlehrers ("Wenn Du so weitermachst, landest Du später bei der Müllabfuhr") ließ ich einfach an mir abperlen. Meine Eltern meldeten mich, ohne dass ich dagegen protestiert hätte, für das Gymnasium an und das besuchte ich dann auch sechs der üblichen fünf Jahre. Die zehnte Klasse schaffte ich (ebenso wie damals die nötige Aufnahmeprüfung) erst im zweiten Anlauf.

Der erwähnte Französischlehrer schaffte es trotz ausgefeilter Technik und optimaler, pädagogisch wertvoller Motivationsmethoden nicht, mich von der Sprache unserer linksrheinischen Nachbarn zu begeistern. Seine Nachfolgerin, eine ältere Dame, die schon lange vor Ihrer Pensionierung hätte in Pension gehen sollen, hatte zwar wesentlich mehr Geduld mit mir, aber noch weniger Erfolg. Deshalb die Ehrenrunde. Aber ich schweife ab.

Nach dem Abi ließ ich mir maximal Zeit. Bis zum Dienstantritt bei der Bundeswehr, bei der Suche nach dem Studienplatz, bei der Entscheidung das Studium abzubrechen. Keine Hektik. Dank großzügiger Gabe von Vitamin B fand ich irgendwann eine passende Lehrstelle und schloss die Ausbildung in einem Alter ab, in dem andere schon ihre erste Million zusammen haben. Oder zumindest schon mehrere Jahre Berufserfahrung.

Ich schreibe das, um deutlich zu machen, dass ich mir meines Werdeganges durchaus bewusst bin, wenn ich zum eigentlichen Thema komme. Zu unseren Jungs. Wie erwähnt, war ich faul und unmotiviert. Auch planlos, aber immerhin habe ich zumindest immer das Minimum geleistet.

Ich muss auch erwähnen, dass mein Blick auf unseren männlichen Nachwuchs nicht unvoreingenommen ist, weil unsere Prinzessin ungefähr so ist, wie ich mich oben vor dem Buzzer selbst beschrieben habe. Sie wusste früh was sie (werden) will und zieht das seither konsequent durch. Wir wissen also, dass es möglich ist. Das hält die Söhne aber nicht davon ab, einen anderen Weg zu gehen, einen wesentlich anstrengenderen. Für uns, nicht für sie natürlich.

Sohn Nummer 1 (S1) ist nicht sonderlich entscheidungsfreudig. Auch würde man bei einer Internetsuche nach Motivation oder Durchhaltewillen in den Ergebnissen kein Bild von ihm finden. Er setzt in dieser Hinsicht Maßstäbe. Kann sein, dass ich das an anderer Stelle schon einmal erwähnt habe, aber es soll hier dennoch als Verdeutlichung dienen:

Eines Tages streunte er gewohnt energielos und langsam durch die Küche, offensichtlich auf der Suche nach Essbarem. Nachdem ihm weder im Kühlschrank noch im Schrank mit den Chips und den Keksen kein fertig zubereitetes Mahl entgegensprang, erregte eine Packung Cherrytomaten seine Aufmerksamkeit. Er mag Tomaten. Er griff nach der Packung, rutschte beim Öffnen zweimal ab und zog dann unverrichteter Dinge wieder ab. Maßstäbe!

S1 hatte ein wenig Pech bei seiner Ausbildungsstelle und hatte von Anfang an Mühe mit den Kollegen. Immerhin hat er zwei Jahre durchgehalten (ein Großteil des diesbezüglichen Lobes gebührt aber weniger ihm als seiner Mutter), dann ging es jedoch wirklich nicht mehr und er beschloss, seine Lehre in einem anderen Betrieb abzuschließen.

Kann man ja machen. Allerdings hat uns seine Strategie, erstmal zu kündigen und dann zu warten, ob ihn ein anderer Betrieb anwirbt, nicht überzeugt. Also haben wir recherchiert und ihm eine Liste möglicher neuer Arbeitgeber erstellt. Seine Aufgabe war es dann, die Betriebe anzurufen und nachzufragen, ob er eine Chance habe. Dann sollte er seine Bewerbungen versenden.

Er hat angerufen. Aber interessanter Weise hat nie jemand angenommen. Und da hat er eben auf den Anrufbeantworter gesprochen. Und was soll ich sagen, es hat niemand zurückgerufen. Nach vielen Diskussionen haben wir dann Bewerbungen verschickt. Und obwohl S1 praktisch am ganzen Prozess nur insoweit beteiligt war, dass er für ein aktuelles Foto einige Sekunden ein normales Gesicht gemacht hat, klopfte er sich selbst stolz auf die Schulter als er die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhielt.

Im Gegensatz zu mir und S1 hatte S2 immerhin eine Idee, was er machen möchte. Das war zwar nicht seine eigene (ich gehe, ohne es beweisen zu können, davon aus, dass er einfach seiner Freundin folgte), aber diese Wahl erwies sich dennoch als richtig.

Das hielt ihn freilich nicht davon ab nach der Ausbildung erstmal nichts zu tun. Gedanken an die Zukunft und so abstrakte Konzepte wie eigenes Einkommen waren ihm völlig fremd. Einzig die gelegentlichen Ausfälle des WLAN brachten ihn ins Grübeln. Aber nur, weil er nicht sicher war, ob sein letzter Spielstand vor dem Abbruch noch gesichert worden war.

Es kam zu einem Krisengespräch und wir begannen ernsthaft mit der Jobsuche. "Wir" bezeichnete dabei eine Gruppe von Menschen ohne S2. Auch er bekam irgendwann eine Einladung zum Vorstellungsgespräch per Mail.​

Sehr geehrter Herr S2,

vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Firma. Wir möchten Sie gerne persönlich kennenlernen. Bitte besuchen Sie uns am 28.07. um 10:00 Uhr für ein Vorstellungsgespräch. Falls Sie diesen Termin wahrnehmen möchten, bestätigen Sie uns dies bitte schriftlich.

Mit freundlichen Grüßen
Müller und Söhne

Die Antwort in Originallänge:

Sehr gerne.

Mit freundlichen Grüßen
S2

Ich befürchte ja schon länger, dass die Menschheit aussterben wird. Vielleicht ist das gar nicht so schlimm.
 
Du bist nicht allein.

Mir klingen hierzu die Worte meiner Mutter zu diesem Thema immer wieder in de Ohren: Es wiederholt sich alles 🤷🏻‍♂️
Verdammt, sie hatte recht. 😂

Bleibt nur zu hoffen, dass es das Leben genauso gut mit unserem Nachwuchs meint wie mit uns 😃👍
 
Das ist der Standardsatz meiner Freundin an ihren Sohn: Ich hoffe ich erlebe es noch, wenn Deine Kinder in dem alter sind! :ROFLMAO:

Aber dann ist sie natürlich Oma und wird die Enkel vermutlich vor dem schimpfenden Vater in Schutz nehmen. ;)
 
Menschen können auch mit wachsenden Herausforderungen sich zum "guten Menschen" entwickeln, müssen aber nicht.
Es gibt durchaus auch ältere Erwachsene, die sich nie mit wachsenden Herausforderungen oder anderen Veränderungen entwickelt haben.
Die bleiben so, wie in der Pubertät.
Da hat auch der Sprung ins sogenannte "eiskalte Wasser" keinen Einfluss.
Die trotteln von einer Tretmine des Schicksals zur nächsten und machen sich immer wieder was neues vor.
Das ist denen wohl in die Wiege gelegt worden, so wie es anderen umgekehrt geht, die sich überall durchbeißen und weiter kommen.

Bei unserem Sohn dachte ich auch erst an Schwierigkeiten, aber als er Mitte 20 wurde, drehte er sich um 180 Grad und alles war bestens, ohne dass irgendjemand was gesagt hatte.
Er hat einfach gemacht und nicht lange herum debattiert.
Ich war ganz stolz auf ihn und froh.
 
Ich hatte tatsächlich ins Auge gefasst, das mir in jungen Jahren prophezeite Schicksal als völlig nutzloses und schmarotzendes Mitglied der Gesellschaft, anzunehmen.
Selbst dazu war ich zu schlecht. Jetzt bin ich weitaus gefragter, als ich es mit je gewünscht hätte.

Bedeutet, Nichts kann man so Falsch machen, wie das Richtige!
 
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