Der kleine Junge und der Tod

Duftie

assimiliert
Hallo,

ich sitze hier gerade bei meiner Mutter, deren Krebserkrankung ihr Endstadium erreicht hat.

Bis letzte Woche war sie noch im Krankenhaus (aus dem sie eigentlich schon eine Woche vorher entlassen worden wäre, wenn nicht ein netter Arzt ihr Verbleiben auf Krankenhauskosten verlängert hätte.

Mein Schwester wollte meine Mutter eigentlich alleine pflegen, aber da ich in meinem Job einigermaßen flexibel bin und July und August eh im geschäft nie was los war, habe ich beschlossen ihr, soweit ich es als Mensch mit Null Pflegeerfahrung kann, dabei zu helfen. Soweit so gut.

Meine Schwester hat sich zunächst für zwei Monate von Ihrem Arbeitgeber beurlauben lassen, ich wollte soweit es geht von ier aus arbeiten. Die Aufteilung war recht schnell klar. Da ich, wenn ich hier in Hamburg war, sowieso mein Zimmer bei meiner Mutter hatte, bin ich also zunächst 24 Stunden an ihrer Seite gewesen und meine Schwester kam Tagsüber vorbei, um mich zu entlasten und bei der Pflege zu helfen (ein Mehlsack ist leichter zu bewegen als ein kranker Mensch).

Zunächst blühte meine Mutter noch einmal auf, hatte wieder etwas mehr Appetit und war auchg noch anprechbar. Jeden Tag wurde das etwas weniger und von gestern auf heute kam der komplette Absturz.

Seit heute Nacht ist sie völlig neben der Spur und reagiert nicht mehr wirklich auf anwesende Personen. Seit heute Nachmittag liegt sie nur noch betend und schreiend im Bett. Nicht weil sie Schmerzen hat, sondern "nur" weil sie völlig Weggetreten und geistig Lichtjahre entfernt ist. Sie ruft nach ihren Geschwistern, auch nach denen, die seit Jahrzehnten tot sind. Sie scheint Zwiegespräche mit Ihren Eltern zu führen und Kindheitserinnerungen zu durchleben. Sie lallt sinnfreie Gebete und spricht mit Toten.

So belastend es einerseits ist, so sicher bin ich mir auch, dass sich der Moment ihrer Erlösung nähert. Ich schäme mich fast dafür meiner Mutter ein schnelles Ende zu wünschen, bin mir aber auch sicher, dass es für sie eine echte Erlösung ist.

Es ist ein Gefühl der Ohnmacht und der Verwirrung. Also eher ein Gefühl, was man aus der eigenen Kindheit kennt. Ich fühle mich wie ein kleiner Junge, der das Gefühl hat etwas schlimmes getan zu haben und auf den Anschiss wartet.

Ich bin mir sicher die richtige Entscheidung getroffen zu haben, kämpfe aber mit den Konsequenzen dieser Entscheidung. Ich habe die letzten Nächte kaum geschlafen und gehe davon aus, dass ich auch in der kommenden Nacht kein Auge zu bekommen werde. Meine Psyche ist angeknackst und die Bilder und Töne der letzten Tage haben sich unauslöschlich in mein Gehirn eingebrannt.

Je länger ich mir das hier anschaue, um so sicherer bin ich mir, dass der Tod nicht als Ende, sondern als Erlösung betrachtet werden sollte ...

Sorry, falls ich jemanden runtergezogen haben sollte, aber das mußte jetzt einfach mal raus .... ;)
 
Schämen musst Du Dich ganz sicher für nichts. Du wünschst Dir für Deine Mutter das Beste, und so hart diese Erkenntnis auch ist: Genau das, was offensichtlich kurz bevor steht, ist das Beste für sie - und für Euch. Die Persönlichkeit, die Ihr geliebt habt, scheint ja bereits gegangen zu sein, nur der Körper ist noch da.
Ich musste das vor vier Jahren in ähnlicher Form erleben, allerdings war ich nur mittelbar betroffen, und zweitens war die Sterbende in einem Hospiz und hat die letzten 24 Stunden dank reichlich Morphium eigentlich nur noch schlafend verbracht.
Insofern war die Situation bei weitem nicht so dramatisch, aber sowas vergisst man trotzdem nicht.
Die nächsten Stunden/Tage werden Dir sicher nochmal alle Kraft abverlangen, ich drück Dir fest die Daumen, dass Du das gut überstehst.
 
Ich weiß, wie du dich fühlst aus eigener und akueller Erfahrung. Aber das muss man ganz realistisch sehen.
Ein Leben, dass nicht mehr lebenswert ist, soll man nicht durch langes Sterben verlängern.

Ich habe mich am Abend "vorher" von meiner Mutter verabschiedet und ich habe gehofft, dass
es ein erlösendes Ende gibt. Zum Glück ist es so gekommen und nach dem Schmerz, war ich doch
heilfroh. In Gedanken sind wir immer noch verbunden.

Ich wünsche für deine Mutter auch alles, was ihr Leiden nicht verlängert. ;)
 
Klage dich nicht für deine Gedanken an. Es sind letztendlich die Taten, die einen Menschen ausmachen. Mit jeder Minute, die du in den verbleibenden Momenten für deine Mutter da bist, zeigst du Größe und Güte und somit auch die Achtung, die du deiner Mutter entgegenbringst.

Ich wüsche dir und deiner Familie die nötige Kraft, um diesen Weg zu Ende zu gehen.


Ares
 
Respekt vor deinen Bemühungen. Ich habe bisher solche Erfahrungen nicht machen müssen, aber mir graust es schon jetzt davor, wenn ich davon lese.

Ich gebe (ausnahmsweise) keine Ratschläge und wünsche dir einfach Kraft in dieser Zeit...

Gruß
Jensus
 
Ich kann deine Gefühle und Gedanken sehr gut verstehen, meine Eltern sind 1994 beide an Krebs gestorben. Vater im Februar an Lungenkrebs, meine Mutter im selben Jahr im Oktober an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Wie du schon sagtest, diese Zeit kann man nicht vergessen, gut wenn du jemanden an deiner Seite hast der dir hier Kraft und Mut geben kann. Jenes Jahr hat mein ganzes Leben in andere Bahnen gelenkt, ich muss sagen, dass ich nicht wirklich über diese Zeit sprechen kann, ausser mit meiner Frau, die mir soviel in dieser zeit gegeben hat.
Aber es kommen auch andere Zeiten, ich habe aus dieser Zeit mitgenommen, dass man jeden schönen Tag geniessen muss.
Alles gute und lass den Kopf nicht hängen.
 
Respekt vor deinen Bemühungen. Ich habe bisher solche Erfahrungen nicht machen müssen, aber mir graust es schon jetzt davor, wenn ich davon lese.

Ich gebe (ausnahmsweise) keine Ratschläge und wünsche dir einfach Kraft in dieser Zeit...

Gruß
Jensus

Mir auch...

Duftie, ich wünsche dir alle Kraft der Welt, dass du diesen harten Weg schaffst... Und schämen musst du dich für den Gedanken, den du geäußert hast, bestimmt nicht... du wünschst deiner Mutter das, was du dir in dem Moment wohl selbst wünschen würdest: Ein schnelles und halbwegs schmerzfreies Ende.
Aber das sagten die anderen ja auch bereits...
:)
 
Hallo,
So belastend es einerseits ist, so sicher bin ich mir auch, dass sich der Moment ihrer Erlösung nähert. Ich schäme mich fast dafür meiner Mutter ein schnelles Ende zu wünschen, bin mir aber auch sicher, dass es für sie eine echte Erlösung ist.

Du hast das richtige getan!!

Ich sitze jetzt hier und weine beim Schreiben, denn auch meine Mutter ist erst vor kurzer Zeit eingeschlafen und ich hatte, als sie noch lebte, ähnliche Gedanken im Kopf wie du, die gleichen Bedenken, die gleichen Gefühle.

Für sie war es Erlösung!
(ich werde niemals niemals im Leben ihr entspanntes, friedliches und fast lächelndes Gesicht vergessen das sie nach dem Ableben hatte)

ganz viel tiefe Trauer dann, aber auch Erleichterung.

Auch für deine Mutter wird es Erlösung sein,
auch ihr werdet trauern, aber auch erleichtert sein
und dafür müssen sich weder du noch deine Schwester schämen

Ich bin sicher eure Mutter wäre stolz auf ihre Kinder!

Ich wünsche dir und deiner Schwester alle Kraft die ihr braucht.

Klaus
 
Meine leibliche Mutter starb nach sehr langem Krebsleiden als ich 12 Jahre alt war. Das war 1969, Krebsbehandlung und Krebsvorsorge steckten damals noch in den Kinderschuhen bzw. waren nach heutigen Maßstäben nicht existent.

Und eigentlich ist meine Mutter nicht gestorben (das ist eine zu beschönigende Umschreibung), sie ist jämmerlich verreckt. Wenn man ein Tier so sterben lassen würde, dann müsste man sich (zu Recht) wegen Tierquälerei verantworten.

Ich kann mich erinnern, das ich mir damals auch gewünscht habe, dass meine Mutter von ihren Qualen erlöst würde. Der eigenen Mutter den Tod zu wünschen (auch wenn es sich um einen Gnadentod handelt) ist für einen Zwölfjährigen keine leicht zu verarbeitende Vorstellung.

Ich glaube, ich kann daher aus eigener Erfahrung den Zwiespalt, in dem man sich in einer solchen Situation befindet, einigermaßen nachvollziehen.
 
Ich schäme mich fast dafür meiner Mutter ein schnelles Ende zu wünschen, bin mir aber auch sicher, dass es für sie eine echte Erlösung ist.

Es ist ein Gefühl der Ohnmacht und der Verwirrung. Also eher ein Gefühl, was man aus der eigenen Kindheit kennt. Ich fühle mich wie ein kleiner Junge, der das Gefühl hat etwas schlimmes getan zu haben und auf den Anschiss wartet.

Ich bin mir sicher die richtige Entscheidung getroffen zu haben, kämpfe aber mit den Konsequenzen dieser Entscheidung. Ich habe die letzten Nächte kaum geschlafen und gehe davon aus, dass ich auch in der kommenden Nacht kein Auge zu bekommen werde. Meine Psyche ist angeknackst und die Bilder und Töne der letzten Tage haben sich unauslöschlich in mein Gehirn eingebrannt.

Je länger ich mir das hier anschaue, um so sicherer bin ich mir, dass der Tod nicht als Ende, sondern als Erlösung betrachtet werden sollte ...

Es geht mir wie wohl so vielen hier: ich finde es bewundernswert, wie Du so 'scheinbar EINFACH NUR AUSHÄLST'.

Du und Deine Schwester - Ihr seit Eurer Mutti gute Begleiter.
Auch wenn das schmerzt.

Tagore schrieb:
Lass mich nicht bitten vor Gefahr bewahrt zu werden sondern ihn furchtlos zu begegnen, lass mich nicht das Ende der Schmerzen erflehen, sondern das Herz, das sie besiegt, lass mich auf dem Kampffeld des Lebens nicht nach Verbündeten suchen, sondern nach meiner eigenen Stärke, lass mich nicht in Sorge und Furcht nach Rettung Rufen, sondern hoffen, das ich Geduld habe, bis meine Freiheit errungen ist, gewähre mir, dass ich kein Feigling sei, der seine Gnade nur im Erfolg erkennt, lass mich aber den Halt Deiner Hand fühlen, wenn ich versage.

Gruss Madame
 
Hi Duftie,

in meinen früheren Vollzeitberufsjahren, habe ich nichts lieber gemacht, als den Leuten die Umstände des Sterben so schön wie möglich zu machen. Ich meine damit, dass diese (wenn sie es auch nicht immer explizit sagen/zeigen) sehr danbkar sind, wenn einfach jemand für sie da ist. Der Weg von kurz-vor-Tod bis zum Tod ist sicherlich mit Angst- und Unwissenheitsgefühlen gefüllt, und es ist sicher schwer, diesen alleine zu gehen. Zumal bei manchen, wie vielleicht auch bei deiner Mutter noch irgendwelche unerfüllten Bedürfnisse wieder zu Tage kommen, mit diesen oder jenen Menschen nochmal zu reden. In einigen Fällen können Menschen auch nicht wirklich sterben, weil sie irgendwas nicht "erledigt" haben.

Sie wird dir sicher dankbar sein, dass du bei ihr bist. Allerdings fällt der Moment des Sterbens nicht immer in die Anwesenheit der Betreuenden. Manche sterben, wenn sie alleine sind, andere in Gesellschaft. Ich bin der festen Überzeugung, dass die meisten Menschen auf natürlichem und unbeschleunigtem Weg (OP, etc) erst dann sterben, wenn sie das Leben auch wirklich losgelassen haben.

Der Moment wird für alle sicher schmerzvoll, aber auch erlösend sein... Ich wünsche ihr einen entspannten Weg und dir und deiner Schwester sehr viel Kraft!!
 
Ich habe schon den ganzen Tag gegrübelt! Es kommt mit Alles so bekannt vor.
Drei Begebenheiten hatte ich bisher mit Sterbenden.

Der erste war mein Vater, wir hatten die letzten Jahre, als ich noch zu Hause wohnte fast nur Stress. Konnten uns sogar auf der Treppe begegnen ohne zu grüssen. Er ist in der Klinik verstorben und ich habe ihn besucht. Es war für mich etwas "befreiendes", noch einmal die Hand zu drücken und auch auf seinem Gesicht war eine gewisse "Zufriedenheit" zu erkennen. Ich glaube, er ist in "Ruhe" gestorben.
Die Zweite war meine Schwiegermutter. Wir wollten in Urlaub fahren und sie hatte darauf bestanden, diesen Urlaub auch anzutrreten. Am ersten Urlaubstag bekamen wir einen Anruf, wir möchten bitte zurück kommen. Sind natürlich sofort zurück und es war immer jemand bei ihr. Sie wollte einfach nur die Menschen, die sie liebte, um sich haben. Sie beschrieb das immer: Ich möchte meinen Garten in Ordnung halten.
Es hatte noch eine Woche gedauert, bis sie verstorben war. Wir waren aber beruhigt, sie nicht allein gelassen zu haben.

Duftie, so wie Ihr, Du und Deine Schwester, handelt, ist das genau der richtige Weg und selbst, wenn Eure Mutter verstorben ist, werdet Ihr daraus Kraft schöpfen!

Alles Gute!
 
Duftie, Deine Story kommt mir so bekannt vor, es könnte meine eigene sein. Nur war es bei mir meine Oma. Ansonsten stimmt alles, bis auf das meine Oma nicht an Krebs sondern an Altersschwäche verstorben ist.
Ich habe 35 Stunden neben ihrem Bett verbracht und ihr sozusagen beim Sterben zugesehen. Auch sie ist hin und wieder hochgefahren und hat auf die Wand gesehen und mit irgendjemandem gesprochen. Meist sagte sie " ja oder ja ist gut, mache ich". Ich weis noch, das es mir ein wenig gruselig vorkam. Ich sehe das Bild noch heute vor mir, wie sie aus dem liegen in die höhe kam und sagte ja ist gut und sich wieder legte.
Ich habe noch niemals gebetet, aber da habe ich es getan. Ich weis noch, das ich vor mir hin sagte " Lieber Gott, wenn es Dich gibt, lass meine Oma nicht leiden und nimm sie schnell zu Dir".
Es ist eine sehr schwere Aufgabe die Du da durchlebst. Vor allem wenn Du den letzten Atemzug miterlebst, wie ich es getan habe. Ich wünsche Dir dazu viel Kraft. Auch wünsche ich Deiner Mutter das sie nicht lange leiden muß und bald alles überstanden hat. Denn weh sie sterben zu sehen tut es sowieso, dann soll es wenigstens schnell gehen dass das Leiden ein Ende hat.
 
Zumal bei manchen, wie vielleicht auch bei deiner Mutter noch irgendwelche unerfüllten Bedürfnisse wieder zu Tage kommen, mit diesen oder jenen Menschen nochmal zu reden. In einigen Fällen können Menschen auch nicht wirklich sterben, weil sie irgendwas nicht "erledigt" haben.
Wir sind auch davon ausgegangen, dass meine Mutter noch meinen Bruder sehen möchte. Seit gestern war meine Mutter nicht mehr wirklich ansprechbar, aber als mein Bruder heute anrief und versprach, dass er morgen früh hier ist, kam eine richtige Reaktion, die uns hoffen lässt, dass sie morgen endlich ihren Frieden findet.

Auch sie ist hin und wieder hochgefahren und hat auf die Wand gesehen und mit irgendjemandem gesprochen.
Die ganze Nacht durch hat meine Mutter ihre Geschwister und diverse Freunde aus der Kindheit gerufen. Teilweise hat sie Kinderreime und Lieder mit ihren eigenen Texten (die nicht wirklich Sinn ergeben, sich aber gereimt haben) gesungen und teilweise Schmerzen aus ihrer Kindheit durchgelebt.

Erst heute morgen wurde sie ruhiger und Gott sei dank hat uns die Ärztin (ja, ihre Hausärztin schaut tatsächlich noch am Wochenende bei Ihren Patienten vorbei!!!(y)) heute Mittag noch ein Schlafmittel hier gelassen, so dass wir zumindest nicht noch die Nachbarn um den Schlaf bringen.

Wir hoffen jetzt, dass mein Bruder wirklich das fehlende Element für ihren inneren Frieden ist ...
 
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