[Satire] Ärzteklon

t_matze

Senior Member
Passend zu den Streikaktivitäten, die kürzlich (und demnächst wieder) stattgefunden haben, ist mir gerade ein sehr guter Artikel in die Hände gefallen, den ich Euch nicht vorenthalten möchte:
Ärzteklon

Abseits der Trübsal progredienter Arbeitslosigkeit und kachektischer Wirtschaftsdaten gab es wieder eine gute Meldung: 99,9 Prozent des menschlichen Genoms sind entschlüsselt. Nun sind wir auf dem Gipfel des Wissens über uns selbst angekommen und können im Buch des Lebens lesen. Ob das Verständnis dafür reicht, ist eine andere Frage und sei (insbesondere) an dieser Stelle nicht diskutiert. Ein anderer Punkt ist ungleich interessanter: Genau wie Sie habe ich mir die Frage gestellt, was es mit diesen rätselhaften 0,1 Prozent auf sich hat, die sich beharrlich dem sezierenden Zugriff entziehen. Ich hege einen Verdacht: Die 99,9 Prozent sind vom Menschen, die 0,1 Prozent vom Arzt.

Dieses Gen ist offensichtlich so schwer zu entziffern, weil sich im Laufe der Jahrtausende bestimmte ärztliche Eigenschaften in das menschliche Erbgut hineingemendelt haben, die nicht mehr in die Logik der Phosphate, Ribosen und stickstoffhaltigen Basen passen. So finden Sie bei keiner anderen tagaktiven Spezies die Eigenschaft, nach 32 Stunden ununterbrochenen Stationsdienstes mit simulierter Vigilanz noch Blinddärme zu bergen oder Gallengänge zu sondieren. Nirgendwo sonst treffen Sie ein der Sprache mächtiges Wesen, das es fertig bringt, über Jahrzehnte hinweg das Wehklagen der anderen mit schier endloser Geduld anzuhören. Im krassen Gegensatz dazu ist die mathematische Begabung derart unterentwickelt, dass es möglich ist, sich für den Job eines leitenden Notarztes mit ein paar Cent pro Stunde abspeisen zu lassen. Gibt es irgendwo noch Wesen in dieser Galaxie, die ihre besten Jahrzehnte damit verbringen, mit unendlicher Beharrlichkeit allem nachzuspüren, was sauer aufstößt, Schmerz bereitet, dick oder dünn werden lässt? Es ist dieses ärztliche Gen, das Müdigkeit eliminiert, Gehaltsvorstellungen minimiert und Urlaubswünsche eradiziert.

Da heutzutage die Krankenhäuser kaum noch Ärzte finden, die ohne Murren bereit sind, das ganze Wochenende hindurch zu arbeiten, wird es aber höchste Zeit, dieses Gen zu analysieren und zu reproduzieren. Wir haben keine Zeit mehr, die Evolution in bedachtsamen Schritten multiresistente Ärzte formen zu lassen, die refraktär gegenüber Müdigkeit sind, taub für leistungsgerechte Bezahlung und blind gegenüber Ausbeutung. In unser aller Interesse muss sofort der Ärzteklon geschaffen werden! Dann haben die Patienten wieder Doktoren, die sieben Tage die Woche - rund um die Uhr zur Verfügung stehen, fernab jedes selbstsüchtigen Gedankens an Freizeit und Familie. Nicht nur die medizinische Versorgung, sondern auch die Renten wären gesichert. Weil diese Klone nämlich frühzeitig sterben, lange vor Erreichen des Rentenalters. Wie das Klonschaf Dolly.

Dr. med. Thomas Böhmeke, "Von schräg unten", Deutsches Ärzteblatt, 23.05.2003

:teufel :D
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ist dieses ärztliche Gen, das Müdigkeit eliminiert, Gehaltsvorstellungen minimiert und Urlaubswünsche eradiziert.

:ROFLMAO:
Dieses Gen in den Händen der Arbeitgeber... Stell dir vor, was du an Lizenzgebühr verlangen könntest! Milliarden $!

;)
 
Erstmal Umkehrschluss: Immerhin sind praktizierende Ärzte und ihre phylogenetischen Vorstufen (Studies, Assistenzärzte) zu 99,9 % ganz normale Menschen und damit auch allen beruflichen und finanziellen Anfechtungen mit einer ähnlichen Bewältigungsstrategie unterworfen! ;)

Aber eigentlich fehlt noch in der Aufstellung das Gen, dass das Belohnungssystem mit der vagen Aussicht auf einen lukrativen Chefarztposten oder eine florierende Facharztpraxis so lange kurzschließen kann! :cry: Aber vielleicht ist das ja nicht genetisch prädisponiert, sondern eine Funktion der Umwelt, sprich der Erziehung und Wertevermittlung! :)

Dass die Jungmediziener ganz schön bluten müssen am Anfang ihrer Karriere, ist ja bekannt. Aber irgendwann später sollte sich das dann amortisieren und sich ein (erfreulich) positiver Saldo einstellen. Und es gibt ja Hoffnung!

Denn warum sind gerade die Zahnärzte bei Finanzpleiten und Fehlspekulationen in der Regel die am meisten Gebeutelten? Und warum schimmern auch in den Pupillen etlicher Jungmediziner beim Blick auf die Liquiditationsmöglichkeiten für Privatpatienten schon verdächtig die Dollarzeichen durch wie bei Onkel Dagobert! :D

Also ganz so schnöde werden unsere Ärzte in ihrer Gesamtheit nun doch nicht ausgebeutet, so dass der Beruf nur mit einer ganz besonderen genetischen Ausstattung zu schaffen ist! ;)

gruß schrotti :) :)
 
@schrotti:
Die von Dir verlinkte Hoffnung datiert von 2001 und fängt seit vergangenem Herbst an, zögerlich Realität zu werden. Der AiP (offiziell: Arzt im Praktikum, eigentlich: Ausbeutung ist Programm) wurde zum Oktober 2004 abgeschafft und die Approbationsordnung für Ärzte restrukturiert. Jetzt verläuft das Studium mit deutlich mehr Blockpraktika und Praxisbezug, was abgesehen von den organisatorischen Schwierigkeiten positiv zu werten ist. Welche Verbesserung jedoch dadurch kommen soll, daß das bisherige erste (1 Tag schriftlich nach 2 Semestern klinischem Studium), zweite (4 Tage schriftlich, 1 Tag mündlich nach 4 weiteren Semestern klin. Stud.) und dritte Staatsexamen (1 Tag mündlich nach dem Praktischen Jahr) zu einem einzigen Staatsexamen am Ende des Praktischen Jahres zusammengefaßt wurden, ist mir schleierhaft. Die Vorbereitung alleine für das zweite Staatsexamen nimmt normalerweise ein ganzes Semester vollständig in Anspruch. Und der Lernerfolg im Praktischen Jahr hängt auch maßgeblich davon ab, mit welchen Vorkenntnissen man hineingeht, von daher ist es ganz sinnvoll, vorher auf einen vergleichbaren Wissensstand gebracht zu werden. Wie jetzt neben der vollzeitlichen Arbeit im PJ die Vorbereitung auf das Hammerexamen (das ist der neue Terminus technicus unter den Studenten) zu bewältigen sein soll, erschließt sich mir nicht. Zum Glück trifft mich das nicht mehr.

Und zu den sich hartnäckig haltenden Gerüchten um das fürstliche Gehalt eines Arztes empfehle ich, sich mal auf www.uni-ohne-aerzte.de (Rubrik "Links") umzusehen. Dort gibt es einen Gehaltsspiegel, in dem das Einkommen deutscher Assistenzärzte mit dem anderer europäischer Länder verglichen wird. Für mich ist das bedrückend, bedenkt man den dafür gebrachten Einsatz an Zeit, Verantwortung, Wissenserwerb, (Forschung und Lehre an der Uni). Nicht umsonst wird jetzt endlich für bessere Bedingungen gestreikt.
 
@t_matze
Danke für deine Erläuterungen zur Ausbildungssituation der Mediziner und bitte meine Replik nicht zu hoch hängen, es sollte zur Satire nur in etwa die Kontra-Satire darstellen ...

Dass ihr in der Ausbildung nach wie vor ganz schön in die Mangel genommen werdet, büffelt wie die Ochsen und den berühmten langen Atem haben müsst, ist ja unbestritten. Um es deutlich zu sagen, die Assistenzärzte sind arme, ausgebeutete "Schweine" des Medizinbetriebs, deren Leistungsentgelt hauptsächlich Anderen in der Hierarchie zu Gute kommt.

Als Facharzt schaut das dann schon anders aus, aber bis dahin ist meist eine nicht leistungsgerechte Entlohnung zu verkraften! Ich hab' schon Facharzt-Rechnungen bekommen, da standen mir die Haare zu Berge wg. Höhe und GO-Bezeichnung!
Z.B. beim Nervenarzt wg. Fingerkribbelns >> 5 min Reizleitungsmessung der Finger einer Hand, Diagnose Bandscheibenverschleiß im Halswirbelbereich G6/G7 (vom Orthopäden übernommen), Therapie Halskrause nachts + Ximovan zum Schlafen damit ==> 500 €!
Also, nur Gelddrucken geht noch einfacher ..... ;)

Aber wie gesagt, soll jetzt kein Sozialneid sein, es gibt wie überall diejenigen, die direkt an der Futterkrippe stehen und die, die erst dann drankommen, wenn die Anderen satt sind! Und der Arztberuf hat ja immerhin das höchste Sozialprestige noch weit vor Pfarrern. Lehrer rangieren, glaub' ich, in der Kategorie mit Journalisten, Politikern und Vertretern im unteren Drittel der Skala! ;)

gruß schrotti :) :)
 
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