[Diskussion] Wohltäter haben's schwer

chmul

Moderator
Teammitglied
Wohltäter haben's schwer

Eigentlich passt es ganz gut in dieses Thema, aber da die Diskussion darüber vermutlich in eine andere Richtung laufen wird, mache ich einen neuen Thread auf.

Es geht um zwei Brüder in Isny namens Immler. Die beiden arbeiten schon seit Jahrzehnten zusammen und verdienen ihr Geld mit der Finanzierung und der Betreuung von Flachdachhallen für Super- oder Baumärkte, wobei sie schon zwei, drei mal am Konkurs vorbei geschrammt sind. Sie verdienen nicht schlecht und sind nach allgemeinen Maßstäben reich.

Heuschrecken sind sie allerdings nicht. Seit Jahren unterstützen Sie ihre Stadt, in dem sie für gemeinnützige Zwecke Spenden oder mal einen Radweg bauen, solche Sachen eben. Vor ein paar Jahren haben Sie dann davon gehört, dass für den Bau einer Realschule die rund 11 Millionen Euro nicht aufgebracht werden können.

Schlimme Sache das, dachten sich die beiden und sahen sich die Pläne an. Heraus kam ein unwesentlich veränderter Entwurf der nur die Hälfte kosten sollte. Das glaubte die Stadt aber nicht, also boten die Immlers die zinslose Vorfinanzierung an. Unter einer Bedingung: Jährlich sollte ein Neidhammel-Fest gefeiert werden. Ein Kernproblem der Deutschen in den Augen der Brüder. An einer Wand in der Schule stand dann auch eingemeißelt: Frage nicht was Deine Stadt für Dich tun kann, frage was Du für die Stadt tun kannst.

Die Schule wurde gebaut, der Spruch bei der Einweihung zugehängt und das Fest einmalig durchgeführt. Dann nicht mehr.

Nun haben die beiden Brüder eine neue Idee. Sie gründeten eine Großfamilienstiftung und statteten sie mit Geld aus. Ziel ist es eine Wohnsiedlung in Isny zu ertellen. 50 Häuser mit Einliegerwohnung (insgesant 200 m² Wohnfläche) und Garten. Außerdem noch Sportanlagen, wenn es machbar ist. Miete pro Monat ein Euro.

:eek: Was ist los? Yep, ein Euro symbolische Miete sollen die neuen Häuser kosten. Daran sind allerdings mehrere Bedinungen geknüpft:

*Nur für Leute aus Isny
*Nur Familien mit mindestens 4 Kindern
*Nur wenn die Großeltern mit einziehen
*Nur wenn 20 Stunden/Monat ehrenamtliche Arbeit geleistet wird

Die Immlers wollen, dass die Großeltern sich um die Kinder kümmern, wenn die Eltern noch bei der Arbeit sind und dass die Kinder sich um die Großeltern kümmern, wenn die mal nicht mehr so gut können. Sie wollen, dass die Leute für diesen Mietpreis zum Gemeinwohl beistragen, in dem sie einen Spielplatzpatenschaft übernehmen oder eine Sportmannschaft betreuen.

Der Gemeinderat hat einen einstimmigen Beschluss gefasst: Das ist ein Vorschlag der ernsthaft geprüft werden soll.

Schon wurden erste Stimmen laut, wonach es ungeheuerlich sei, dass die Reichen bestimmen dürften, wie die Armen zu Leben haben.

Die Immlers wollen mit diesem Projekt Denkanstöße geben und andere zur Nachahmung animieren. Anfragen dazu gäbe es schon.

Quellen:
Spiegel
taz
Schwäbische Zeitung

Darf man auf diese Weise was für die Gesellschaft tun oder ist es nur dann moralisch vertretbar, wenn man das Geld an den Staat, die Stadt oder eine anerkannte Organisation übergibt, damit etwas getan wird?
 
Ich meine das Konzept an sich hört sich nicht schlecht an und ein Versuch wäre es wert.
Doch ausbaufähig ist es mit Sicherheit und man müßte wahrscheinlich auch noch dran feilen.

Und meiner Meinung nach ist auch nicht rechtens wenn man in dieser Situation sagt vonwegen das die Reichen versuchen vorzuschreiben wie die Ärmeren zu leben haben.
Die Immlers könnten sich mit ihren Millionen genauso gut in die Südsee absetzen und es sich dort gut gehen lassen.
Sie haben das Geld und sie versuchen etwas damit, was sich in erster Linie garnicht schlecht anhört.
Und solange es erstmal in Insy bleibt meinetwegen.

Was hab ich davon wenn ich meiner Stadt meinetwegen 10mio € zur verfügung stelle und sie baut damit ein neues Kongresszentrum was keiner braucht ....oder drei neue Supermärkte.
Von mir aus kann man das gerne mal versuchen.


:)
 
Zwei Sachen fallen mir auf:
Zum einen die totale Hilflosigkeit der Politiker (schön im Spiegel): Wir fordern einen Ruck der durch Deutschland geht, und bekritteln die Mitnahmementalität - und dann kommen die zwei und nehmen mal was selber in die Hand.
Der SPD'ler hat es ja schön gesagt: "Die politischen Institutionen können sich doch nicht entmündigen lassen". Wäre ja auch furchtbar...

Des weiteren der schöne Satz "Wes Brot ich freß, des Lied ich sing". Sollen es doch die Familien mit 4 Kindern entscheiden, ob die Bedingungen für sie akzeptabel sind (und ich gehe davon aus, für viele sind sie es) - und nicht irgendwelche Politiker
 
Zunächst einmal was ganz Persönliches:
Ich bin mit einer Allgäuerin verheiratet und weiß daher etwas genauer, wie ich diesen Menschenschlag einzuschätzen habe, auch weil ich selber aus einer ganz anderen landsmannschaftlichen Ecke Deutschlands komme (Sachsen/Anhalt+Franken)!

Natürlich kann man kein Pauschalurteil über einen ganzen Landstrich und dessen Bewohner fällen, aber so wie ich die Allgäuer Mentalität kennen und schätzen gelernt habe, sind das vorwiegend Menschen, die "g'rad' an" denken, wenig Worte verlieren, sondern ohne zu Jammern gleich das Ihre zu tun versuchen und von daher das Herz auf dem rechten Fleck haben, die allerdings in ihrer Heimatverbundenheit auch etwas eigen und querköpfig sind!

Davon gibt's in Deutschland natürlich überall genügend ähnlich denkende und handelnde Menschen, aber ohne jetzt vom Thema ganz abzuschweifen, war dieser Exkurs vielleicht notwendig, um die Motivation der Immler-Brüder etwas zu hinterleuchten. Das sind offensichtlich gestandene Prachtexemplare dieses Allgäuer Menschenschlags, ihre Herkunft und entbehrungsreiche Kindheit und berufliche Anfangszeit hat sie eben nicht jetzt im Erfolg zu raffigen Kapitalisten vom Schlage der Essers, Ackermanns etc,. werden lassen, sondern die solide Bodenhaftung ist geblieben!

Dass sie mit ihren millionenschweren Initiativen nach dem Motto verfahren :"Wer zahlt, schafft an!" kann man ihnen nicht verübeln! Und Knüppel werden und wurden ihnen bei ihren Projekten von politischer Seite ja schon genügend zwischen die Beine geworfen, das hat sie sicher auch desillusioniert! Da verstehe ich schon, wenn sie sagen: "Mit unserem eigenen Geld wollen wir selber Herrgott spielen!".... und nicht wie üblich, die Herren Politiker bedienen, die das Geld der Anderen dann großzügig und meist ohne Eigenhaftung dafür verbraten können!

Was mich bei den relativ strengen Vorgaben der Brüder für ihre Nutznießer aber am meisten überzeugt hat, das ist ihr Bekenntnis zur Individualität der zukünftigen Bewohner in einer eben nicht genormten Einheits-Ghetto-Siedlung (Zitat: Jedes Haus muss anders sein!). Das ist beste urallgäuerische Tradition, die Freiheit des individuellen Tuns und der persönlichen Gestaltung rangieren ganz oben, alles genormte, aufoktroyierte wird strikt abgelehnt und konterkariert!
Und nebenbei gesagt: Keiner ist gezwungen, bei diesem Angebot mitzumachen!

gruß schrotti :) :)
 
Was ich gut finde ist der "Zwang" ehrenamtlich tätig zu sein und sich mit den anderen Generationen zu befassen. Jeder beklagt den Egoismus, aber - wie an anderer Stelle schon mal erwähnt - nicht mal bei der Suche nach einem stellvertretenden Elternvertreter für eine erste Klasse findet man auf Anhieb Kandidaten.

Das Projekt kann natürlich auch in die Hose gehen. Aber wenn man betrachtet, was daraus werden könnte (wenn einerseits die Idee bundesweit Nachahmer findet und andererseits Kinder und Alte wieder Familie kennen lernen) dann ist es auf alle Fälle den Versuch wert.
 
Da wirds in Isny ja bald eine türkische Siedlung mehr geben! :D

Selber bewohne ich eine Wohung einer Wohungsgenossenschaft, die zu DDR Zeiten noch eine AWG (Arbeiterwohngenossenschaft) war. Um dort Mitglied zu werden mußten Anteile gezahlt werden, 1-Raum =1 Anteil usw. Jedes Anteil waren 800 DDR-Mark, die gesplittet wurden, 400 Mark zu zahlen und 400 Mark an Eigenleistungen. Die Eigenleistungen konnten verbraucht werden in gemeinnütziger Arbeit im Wohnbezirk (Grünlandpflege) oder vor dem Einzug, indem man seine Wohung selber renovierte etc. pp. Darüberhinaus waren pro Jahr 15 Stunden gemeinnütziger Arbeit zum Erhalt des Wohnumfeldes zu leisten. Ich fand das durchaus o.K., waren doch die Genossenschaftswohnungen auch die gepflegtesten (innen und außen). Leider ist dies alles mit der Wende den Bach 'runter gegangen. Schade deshalb, weil gerade durch die gemeinsame Arbeit im/am Haus viele Gemeinsamkeiten gepflegt wurden.
 
Es mag billig sein, so zu wohnen, aber ob es würdevoll ist, möchte ich bezweifeln. Aber das muß jeder selbst für sich entscheiden.


salayna
 
Das mit der Würde ist zwar ein echtes Gegenargument, aber das muss man nicht unbedingt so ehrabschneidend sehen! Denn ob einem der Staat im Falle der Bedürftigkeit mit anonymen Steuer-Euros per Sozialhilfe/ALGII etc. den Lebensunterhalt ermöglicht oder ob wie hier personalisierte Geldgeber, mit einem Konzept, das auf Eigeninitiative und Solidarität baut, die Möglichkeit zu kostengünstigem Wohnen anbieten, läuft für mich in etwa auf das Gleiche raus.

Nur kann man es bei Staatsgeldern halt leichter wegdrücken, eigentlich ausgehalten zu werden, da man ja meistens zuvor schon genügend Steuern berappt hat und der Rückfluss, der ja nicht üppig ist, dann noch als unverdient knapp empfunden werden kann!

Direkte persönliche wohltätige Zuwendungen haben eben immer etwas den Geruch des Gönnerhaften und Beschämenden, vor allem noch, wenn sie an das Vorhandensein bestimmter familiärer Umstände und die Einhaltung sozialer Vorschriften geknüpft sind wie hier. Das bleibt wohl ein Dauer-Manko dieses Modells!

gruß schrotti :) :)
 
Wohltätigkeit ist in meinen Augen etwas anderes.

Bei solch einem Modell ist außerdem die völlig unsichere rechtliche Lage zu sehen. Was passiert wenn die Großeltern sterben? Fliegen die Leute dann raus? Fliegen sie auch raus, wenn ein Kind alt genug ist und auszieht? Sicher nicht, aber dann könnte Miete fällig werden. Was dann?

Für mich klingt es nach einem Reality-Spiel für Reiche. Sie sollten das Geld lieber in ein paar Arbeitsplätze investieren, dann wäre der Gemeinschaft mehr gedient.


salayna
 
Grosseltern kann man adoptieren - har denn keiner die 2 bei Maischberger gestern gesehen ( oder war es vorgestern ? )

Gruss
Tim
 
@Salayna

Wenn die Großeltern sterben, hat die Familie eine gewisse Zeitspanne um ein Rentnerpaar aufzunehmen, das sich dann um die Kinder kümmern kann (falls ich das richtig verstanden habe).

Wenn die Kinder ausziehen muss die Wohnung verlassen werden. Ein normaler Mietvertrag kann auch gekündigt werden.

Die Frage, ob dieses Modell die Würde verletzt, verstehe ich nicht. Da steht ein Haus, das ich mieten kann, wenn ich die Voraussetzungen erfülle. Das trifft auf jedes andere Haus auch zu. Bei anderen Häusern ist die Bedingung die monatliche Zahlung einer Miete, die sich kindereiche Familien kaum leisten können. Diese Bedingung wurde durch andere, meines erachtens leichter zu erfüllende, ersetzt. Das Angebot ist nach wie vor freiwillig.
 
Jeder setzt Würde woanders an. Meine wäre verletzt, würde ich dieses Angebot annehmen.
Aber wie ich ja schon schrieb, muß solche Dinge sowieso jeder für sich selbst entscheiden.


salayna
 
Auf der einen Seite geb ich chmul Recht - es ist ein Angebot, das an bestimmte Bedingungen und Voraussetzungen geknüpft ist, und seine Annahme ist freiwillig. Die juristische Durchsetzbarkeit, wenn sich jemand nicht an die Regeln hält, zweifle ich aber stark an.
Und das Argument von salayna mit dem "Reality-Game" kann ich auch nicht von der Hand weisen, ein wenig Wahrheit steckt da schon drin.
 
Ich mag mich irren, aber in den verschiedenen Artikeln habe ich keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass die Immlers das als Spiel betrachten und eine Show, um der Show willen, daraus machen wollen.

Ich stimme Euch zu, die rechtliche Seite der Sache ist knifflig und es würde mich nicht wundern, wenn die eine oder andere Sache bei diesem Projekt vor Gericht entschieden werden müsste, aber es ist ja nicht so, dass hier jemand im Unklaren gelassen würde. Die Bedingungen liegen auf dem Tisch.

Abgesehen davon werden in Deutschland Leute aus ihren Wohnungen gemobbt, weil sie unter der Woche (statt am Samstag) das Auto waschen, die Frechheit besitzen am Sonntag den Hausflur zu fegen oder ihre Kinder nicht ruhig halten können.

Wieso würde Deine Würde verletzt, salayna? Wenn Du mit vier Kindern ein einem neuen Haus wohnen könntest und statt Miete zu zahlen Deine Eltern betreust und im Sportverein hilfst, schenkt Dir doch niemand was. Das ist doch kein Almosen. Du erfüllst einen Vertrag. Mit der Eigenheit, dass das Angebot keineswegs selbstverständlich ist und die Gegenleistung der Allgemeinheit dient.
 
Weil diese Bedingungen in die Privatsphäre eingreifen, und da hat niemand etwas zu suchen.
... statt Miete zu zahlen Deine Eltern betreust ...
Wenn die innerfamiliere Unterstützung darauf beruht, daß man einen Vertrag erfüllt, dann ist das für mich schon sehr bedenklich.

Würdevoll leben heißt für mich, daß ich für meinen Unterhalt selbst sorge und keine Almosen brauche. Genau dieses hätte ich aber bei diesem Modell nicht.
Und ja, es gibt einen Unterschied, ob man vom Staat, als Teil der Gemeinschaft, eine Unterstützung bekommt, oder von einem Gönner ausgehalten wird. Das ist sogar ein großer Unterschied.

Auch ist es ein Unterschied, ob ich in einem regulären Arbeitsverhältnis mein Geld verdiene, davon meine Miete bezahle, und mir dann alle den Buckel runterrutschen können, oder ob ich nach meinem Arbeitstag (ohne Arbeit wird es ja auch dabei nicht gehen) noch zusehen muß, daß ich alle Auflagen erfülle, um wohnen zu dürfen.

Das Gros der Leute muß sich so schon oft genug den Wohlhabenden unterwerfen und wird hinten und vorne gegängelt. Dies nun auch noch aufs Privatleben auszudehnen, geht mir zu weit.


salayna
 
Original geschrieben von salayna
Wenn die innerfamiliere Unterstützung darauf beruht, daß man einen Vertrag erfüllt, dann ist das für mich schon sehr bedenklich.

salayna

Na gut, dann nimm doch die Sozialhilfe, das ist Würdevoller.
 
Die Antwort deckt die Postings von Dir komplett ab.

Haustierverbot, von vielen Vermietern vorgeschrieben, ist scheinbar nicht so bedenklich für Dich? Hab auf jeden Fall nix davon gelesen.

Aber ich komme nun endlich dahinter,was Dich bewegt: es ist auch wirklich eine Sauerei, so billige Wohnungen anzubieten und dann auch noch 4 Kinder und die Oma am Hals zu haben... und dazu noch 15, man überlege! diese üblen Machenschaften, 15 Stunden Sozilarbeit! Im Monat zu verlangen! Das ist doch die Höhe! Nee wirklich, dann doch lieber Sozialhilfe.

Oder kennt jemand (eine Arbeiterfamilie bitteschön) die 4 Kinder im Haus hat, die keine Sozialhilfe, b.z.w staatliche Zuschüsse zu allem möglichen und unmöglichen braucht? Zumindest, bis sie einen 6er im Lotto haben? Ich kenne keine, zumindest keine, wo die Olle nicht mit dem Plümo geht. :devil

Ja ja, da sage ich doch lieber mit Dir im Einklang: die Brüder .... sollen sich doch diese Erpresserwohnungen sonstwohin schieben. Nöch? Noch was Ritzinus hinterher und juhu, wech sind die Schuppen des Anstoßes.

Äääähhh, dämliche Frage zum Schluß: erfüllst Du keinen Vertrag in der jetzigen Wohnung? Gut, daß ich nicht Dein Vermieter bin!
 
Pssscchht, Lolly, Du hast den Guten ganz falsch verstanden. ;)

Er findet es nicht bedenklich, einen Vertrag erfüllen zu müssen, um in einem Haus wohnen zu dürfen. Er findet es bedenklich, dass es überhaupt einen Vertrag braucht, dass innerfamiliäre Unterstützung praktiziert wird - und das können wir doch wohl alle unterschreiben.
 
Um deine Schlußfrage zu beantworten, Lollypop: Nein, ich erfülle keinen Vertrag in meiner Wohnung und habe auch keinen Vermieter.

Du nimmst es dir ein bißchen zu sehr zu Herzen, wenn jemand anderer Meinung ist als du, oder? :stupid


salayna
 
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