Kriegspropaganda

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Senior Member
»Wenn du einmal angefangen hast zu lügen, dann bleibe auch dabei!«
Propagandaminister Joseph Goebbels in seinem Tagebuch, 1933



Es wird gelogen, gefälscht und manipuliert. An allen Fronten. Immer im Dienste des Guten. Und von jeher folgt Propaganda bestimmten Grundmustern. Das macht sie durchschaubar. Wer weiß, wie sie funktioniert, kann sich auch gegen sie schützen.
Sie liebte Puppen, Zeichentrickfilme und Softeis. Neben Posters von Tom Cruise und Madonna hing über ihrem Bett ein rotes Samtherz, in das sie die Vornamen ihrer Eltern gestickt hatte. Nayirah, 1975 in Kuwait geboren, war eine brave Tochter. Am 10. Oktober 1990 machte sie Weltgeschichte: Vor der Menschenrechtskommission des US-Kongresses gab die 15-jährige Kuwaiterin zu Protokoll, was sie als Krankenpflegerin in ihrer von irakischen Truppen besetzten Heimat »selbst gesehen« hatte: »Ich sah die irakischen Soldaten. Sie kamen mit Gewehren ins Krankenhaus und haben die Babys aus den Brutkästen gerissen«, berichtete sie unter Tränen. »Die Soldaten haben die Brutkästen mitgenommen und die Neugeborenen auf dem kalten Boden sterben lassen.« 53 Millionen US-Bürger saßen vor der Mattscheibe, als der Nachrichtensender »ABC?s Nightline« die Kindermord-Anklage übertrug; etliche Fernsehstationen sendeten den erschütternden Augenzeugenbericht via TV-Satelliten rund um den Globus. Die Welt war entsetzt ? Zweifel waren da nicht angebracht.
312 Säuglinge hatten die Schergen des irakischen Diktators Saddam Hussein angeblich umgebracht. Öffentlich und mit bebender Stimme entrüstete sich der damalige US-Präsident George Bush: »Die Babys wurden wie Brennholz auf dem Boden verstreut.« Die globale Empörung blieb nicht ohne Folgen. Noch im Sommer 1990 hatten nur 34 Prozent der US-Bürger einen amerikanischen Militärschlag gegen den Irak befürwortet. Nach dem Babymord-Hearing stieg die Zustimmungsquote laut einer Umfrage des Gallup-Instituts auf 72 Prozent. Der irakische Diktator Saddam Hussein, einst Waffenfreund der USA, wurde weithin zum »Anführer des Bösen« ausgerufen. Und der US-Kongress sah »die Zeit gekommen, die Aggression dieses gnadenlosen Diktators aufzuhalten, dessen Truppen schwangere Frauen aufspießen und Babys aus den Brutkästen reißen«. Am 17. Januar 1991, drei Monate nach der Aussage von Nayirah, begann die »Operation Wüstensturm«. Kampfflugzeuge der USA und ihrer Verbündeten bombardierten Ziele im Irak und in Kuwait. In den 42 Tagen des Golfkriegs verloren über 150 000 Menschen ihr Leben.
Die USA feierten den militärischen Sieg mit einer opulenten Broadway-Parade und patriotischen Festreden. In einer TV-Ansprache dankte Präsident Bush nicht zuletzt den Journalisten. Das öffentliche »Thank you« war durchaus berechtigt. Denn »moderne« Kriege werden auch auf Zeitungspapier und Mattscheiben geführt. Eine umfangreiche Studie, im Dezember 2002 vom schwedischen »Amt für psychologische Verteidigung« veröffentlicht, kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: »Die Medien der Krieg führenden Länder wandeln sich von einem kritischen Kontrolleur der Staatsmacht zu einer vierten Waffengattung neben Heer, Luftwaffe und Marine.« Die vierte Waffengattung ist mit durchschlagender Hightech-Power ausgerüstet. Mithilfe digitaler Technologien vermag sie lichtschnell zu informieren und Lügen zu entlarven. Aber sie kann auch flächendeckend desinformieren, fälschen und fanatisieren. Über Jahrtausende breitete sich die Propaganda (abgeleitet vom lateinischen »propagare« = ausdehnen) gemächlich von Mund zu Mund aus. Im Zweiten Weltkrieg kamen diese suggestiven Botschaften schon via Radiowellen zu Freund oder Feind. Während des Koreakriegs (1950 ? 1953) wurden erstmals Fernsehbilder von militärischen Einsätzen in zivile Wohnstuben gesendet.
Heute sind Milliarden von Erdenbürgern über TV-Satelliten und Internet mit internationalen Informationszentren vernetzt. In Kriegszeiten können die heimlichen Zurüster der vierten Waffengattung weltweit und in Echtzeit operieren. Propaganda total und global. »Es ist ein Kampf um die Köpfe und Herzen«, weiß der deutsche Konfliktforscher Professor Wolfgang Vogt. »Wer diesen Kampf gewinnt, der gewinnt letztlich auch den Krieg.« Munitioniert werden die medialen Truppen von hoch bezahlten Info-Strategen, die meistens im Verborgenen bleiben. Wenn sie angreifen, fließt kein Blut. Aber ihre Siege können Kriege entfachen. Zu den folgenreichsten Coups der jüngeren Propaganda-Geschichte gehört jene Kampagne um das weinende Mädchen Nayirah aus Kuwait. Die Hintergründe wurden erst nach dem Golfkrieg ausgeleuchtet:
Im Frühsommer 1990 engagierte die von der kuwaitischen Regierung unterstützte Organisation »Citizens for a Free Kuwait« die US-Firma Hill & Knowlton, eine der weltweit führenden PR-Agenturen. Die Experten der »globalen Kommunikationsberatung« (so die Eigenwerbung) bekamen den mit 11,5 Millionen Dollar dotierten Auftrag, Stimmung gegen die Gewaltherrschaft von Saddam Hussein zu machen. Im September 1992 berichtete das deutsche Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« über den Erfolg der New Yorker Agentur: »Hill & Knowlton inszenierte jenes berüchtigte Hearing, in dem das 15-jährige kuwaitische Mädchen Nayirah unter Tränen von den Grausamkeiten der irakischen Besatzer berichtete ... Hill & Knowlton stellte nicht nur die Zeugin zur Verfügung, sondern sorgte auch mit einem eigenen Kamerateam dafür, dass ihre Aussage von 700 Fernsehstationen des Landes gesendet wurde ... Nayirahs erschütternde Aussage, ein wesentlicher Faktor in der öffentlichen Unterstützung des Krieges gegen den Irak und von Präsident Bush oft zitiert, musste später in großen Teilen dementiert werden. Überdies stellte sich heraus, daß Nayirah nicht irgendeine Kuwaiterin war ? sie war die Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington.« In der öffentlich-rechtlichen ARD fiel das Urteil über die Kampagne noch deutlicher aus: »Alles reine Erfindung!« (»Panorama«, 6. 2. 2003).
Ein Lehrstück professioneller Kriegspropaganda. Der Zweck heiligt die Lügen. »Natürlich basiert die psychologische Kriegsführung nicht allein auf Desinformationen«, erklärt ein hochrangiger Offizier vom »Bataillon für Operative Information 950« in Mayen (Eifel). »Aber es ist eine Tatsache, dass die Wahrheit in Krisenzeiten manchmal auf ihren strategischen Wert reduziert wird.« In dem militärischen Verband, der zu den so genannten »Krisenreaktionskräften(KRK) der Bundeswehr gehört, dienen über 700 Soldaten. In der »Arbeitsunterlage Operative Information« wird die Marschrichtung des Bataillons angegeben: »Massenkommunikationsmittel können Verlauf und Ausgang von Konflikten entscheidend beeinflussen ... Propaganda, Desinformation und Manipulation von Meinungen sind Teil des Kampfes um Informationsüberlegenheit.« Ziel sei es, »die Moral eines Gegners zu schwächen«.
Gefälscht und manipuliert wird an allen Fronten und in allen politischen Lagern. »Im Krieg ist die Wahrheit so kostbar, dass sie stets von einer Leibwache von Lügen umgeben sein sollte«, räsonierte der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill im Zweiten Weltkrieg. Ehrliche Worte, die in Militärkreisen schnell zum Leitsatz avancierten. Als US-Verteidigungsminister Donald (»Rummy«) Rumsfeld das Churchill-Motto vor einigen Monaten auf einer Pressekonferenz zitierte, versicherte er nach einer kurzen Pause augenzwinkernd, dass er persönlich selbstverständlich überhaupt nichts von Lügen halte. Die meisten Journalisten werden wohl in Gedanken zurückgezwinkert haben. Es war nie ein Geheimnis: »Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer«, notierte der englische Schriftsteller Rudyard Kipling während der britischen Kolonialzeit in Indien. Und der preußische Macht-Pragmatiker Otto von Bismarck polterte: »Es wird nie so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd.« Professor Dr. Friedrich Krotz vom Institut für Kommunikationswissenschaft an der Universität Münster bringt die alten Einsichten auf den neuesten Stand: »Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit sollen betrogen werden, indem das reale Geschehen und das öffentliche Wissen voneinander getrennt werden. Angefangen von der Sprache (?Angriff auf die Zivilisation?) über die Darstellung des Gegners (?Schurkenstaat?) bis hin zur Selbststilisierung als human: Wir wissen im Wesentlichen nur, was durch die Filter der Militärs gegangen ist.«

Propaganda verführt nicht mit filigranen Sinn- und Satzgespinsten, auch kleckert sie nicht skrupulös. Kriegspropaganda klotzt. Adolf Hitler, von seinen ergebenen Militärs zum »größten Feldherrn aller Zeiten« hochstilisiert, rühmte sich selbst als »stählernen Former der Massen«. Mit nationalsozialistischen Parolen und patriotischen Phrasen, mit schriller Hass-Rhetorik, einstudierter Körpersprache und gigantischem Kulissenkitsch gelang es ihm, fast die gesamte deutsche Bevölkerung zu fanatisieren, vom Arbeiter bis zum Akademiker. Hitlers Schlagworte waren Totschlagwörter. In seinem Buch »Mein Kampf« (1926) entwarf er ein Propaganda-Konzept, das später auch andere Diktatoren wie Stalin, Franco, Pinochet oder Pol Pot einstudierten: »Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen auf die Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt ... Handelt es sich aber, wie bei der Propaganda für die Durchhaltung eines Krieges, darum, ein ganzes Volk in ihren Wirkungskreis zu ziehen, so kann die Vorsicht bei der Vermeidung zu hoher geistiger Voraussetzungen gar nicht groß genug sein.« Weiter in Hitlers verschwurbeltem »Kampf«-Stil: »Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergesslichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig so lange zu verwenden, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag.«
Hitlers furchtbarer Propaganda-Paladin Joseph Goebbels, im März 1933 zum »Reichsminister für Propaganda und Volksaufklärung« ernannt, notierte ein bezeichnendes Memento in sein Tagebuch: »Wenn du einmal angefangen hast zu lügen, dann bleibe auch dabei.« In seinem berühmten, vor rund 2500 Jahren verfassten Ratgeber »Die Kunst des Krieges« rühmt der chinesische Philosoph Sunzi die Lebenserfahrung als wichtigste Waffe. Als Purist der Propaganda glaubte er, dass man jeden Menschen für ein militärisches Abenteuer begeistern kann, wenn man nur seine Träume und Schwächen kennt. Im Herbst 1963, in der heißen Vorbereitungsphase des Vietnamkriegs, wollten Propaganda-Experten des Pentagon genauer wissen, wie Sprache lenkt. Sie wählten Probanden mit unterschiedlichem sozialem und intellektuellem Profil aus, verdrahteten sie mit einem Polygrafen (vulgo: Lügendetektor) und testeten die emotionale Wirkung bestimmter Wörter.
 
Das Ergebnis war eine Auslese von »white words« und »black words«. Auf der Top-Liste der »weißen Wörter« stehen ganz oben: Freiheit, Sicherheit, Friede, Demokratie, Gerechtigkeit, Humanität und Vaterland. Wer sie propagandistisch einsetzt, kann das patriotische Potenzial der Bevölkerung positiv stimulieren. In der Kategorie der »schwarzen Wörter« führen Diktatur, Hass, Angriffskrieg, Tyrannei, Unterdrückung, das Böse und Fanatismus; nach den Anschlägen am 11. September 2001 kam ein weiteres »black word« auf die Liste ? und belegte sofort den Spitzenplatz: Terrorismus. Wer solches Vokabular in den Vordergrund stellt, löst Gefühle wie Angst oder Aggression aus. In Zeiten politischer Turbulenzen sollte man den Mächtigen noch genauer als sonst aufs Maul schauen. Bei der Analyse zahlreicher Propaganda-Reden haben Psycho-Linguisten des französischen Verteidigungsministeriums ein auffälliges Sprachmuster entdeckt ? eine Art »Frühwarnsystem« für Feinhörige. Die Faustregel: je höher die Zahl der »black words«, desto größer die Bereitschaft zu militärischen Aktionen. Anders ausgedrückt: Wenn in Regierungsansprachen die Zahl der »schwarzen Wörter« deutlich zunimmt, nehmen die Chancen für eine friedliche Konfliktlösung rapide ab.
Allzu schlicht? Am 28. Januar 2003 hielt US-Präsident George W. Bush vor den Kongressmitgliedern in Washington eine Rede »Zur Lage der Nation«. Als die Irak-Krise zur Sprache kam, hörten die Abgeordneten zwar mehrere »white words« ? achtmal »Frieden«, dreimal »Freiheit« und zweimal »Demokratie«. Aber: »Terrorismus«, »Terroristen« und »terroristisch« ? die schwärzesten aller »black words« ? fielen 22-mal. Die halben Wahrheiten und ganzen Lügen der Propaganda-Warlords zielen auf die Ängste, Hoffnungen und Ressentiments der Bevölkerung. Das schwerste und wohl auch wirkungsvollste Geschütz der emotionalen Mobilmachung ist die Kindermord-Anklage. Dieser Horror-Klassiker der psychologischen Kriegsführung hat eine lange und unrühmliche Geschichte.
Im November 1095 hält der berühmte Eremit Peter von Amiens im französischen Clermont eine Brandrede vor Kirchenvertretern, Bauern und Handwerkern. Wie mit Papst Urban II. vorher abgesprochen, berichtet der wortgewaltige Einsiedler von angeblichen Gräueltaten der türkischen Seldschuken im Heiligen Land: Die osmanischen Unholde quälen die frommen Pilger, schänden das Grab Christi und ? die Menge stöhnt entsetzt auf ? »köpfen und spießen kleinste Kinder der Christen auf«. Wie aus einem Mund entlädt sich der Drang zur Tat: »Dieu le veut!« ? Gott will es! Wenige Monate nach der Lügenpredigt beginnt der erste Kreuzzug (1096 ? 1099). Während des jugoslawischen Bürgerkriegs (1991 ? 1995) berichtet die britische Sendeanstalt »BBC«, die serbischen Machthaber würden jedem Soldaten oder Heckenschützen für jedes getötete Kind eine Prämie von dreihundert Pfund zahlen. 400 Kinder seien bereits wegen des ausgesetzten Kopfgelds erschossen worden. Nach dem Krieg musste »BBC« die Meldung widerrufen.
Am 26. April 1999 rechtfertigt der damalige Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping in einem »Spiegel«-Interview die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg (1998 ? 2000): »Die menschliche Empörung spielt eine große Rolle, die historische Erfahrung ebenso wie das Wissen um die Gräuel. Auf dem Balkan geht es ja nicht um Öl oder Rohstoffe. Was wir jetzt tun, geschieht wegen der mit äußerster Brutalität vorgenommenen Verletzung von Menschen- und Lebensrechten ... Aus einer Schule trieb man die Lehrer und Kinder heraus, hängte die Lehrer vor den Augen der Kinder auf und vertrieb die Kinder dann mit Gewehrkolben und Schüssen. Schwangeren Frauen wurden nach ihrer Ermordung die Bäuche aufgeschlitzt und die Föten gegrillt.« Zwei Jahre später, am 16. Februar 2001, alarmiert die »Frankfurter Rundschau« ihre Leser unter Berufung auf Zeugenaussagen hochrangiger Militärs: »Deutsche Politiker haben sich der Falschinformation und der Lüge bedient, um die Beteiligung der Bundeswehr am Nato-Bombardement in Jugoslawien gegenüber der Öffentlichkeit zu legitimieren.«
Wo bleibt die Friedenspropaganda? Überwiegend auf der Straße, bei Demonstrationszügen oder öffentlichen Kundgebungen. Sie steckt in einem Dilemma. Wenn sie aggressiv ist, widerlegt sie sich selbst. Wenn sie an die Vernunft appelliert, fehlt ihr die emotionale Schubkraft. Friedenspro-paganda hat zwar gemeinhin bessere Texte und bessere Bilder als Kriegspropaganda. Aber in politischen Krisenzeiten gilt sprachliche Qualität wenig; und die gemalte Friedenstaube schwebt viel zu hoch im Symbolischen, als dass sie mit ihrem Flügelschlag einen Sturm der Nächstenliebe entfachen könnte. Kriegspropaganda attackiert. Friedenspropaganda appelliert ? »Give peace a chance«. Der deutsche Grafiker John Heartfield (1891 ? 1968), der mit seinen politischen Fotomontagen gegen die Nazi-Diktatur weltberühmt wurde, bilanzierte bündig: »Den Krieg kann man nur mit der Sprache des Krieges bekämpfen.« In Kriegszeiten ist die Wahrheit in keinem Land sicher. Gelogen und gefälscht wird global. Nach dem Terroranschlag auf die New Yorker Twin Towers kursierte in der arabischen Welt eine besonders infame Propagandalüge: Der als »unabhängig« gerühmte Nachrichtensender »al-Dschasira« hatte berichtet, vor dem Anschlag seien etliche Juden gewarnt worden, die Zwillingstürme zu betreten. »Damit sollte der Eindruck erweckt werden, Israel stecke hinter den Selbstmordattentaten«, resümierte die »Neue Zürcher Zeitung« am 12.10.2001.
Der eigene Krieg werde immer als »gerecht, notwendig und aufgezwungen« dargestellt, schrieb der englische Philosoph David Hume anno 1749 in seinem »Treatise of Human Nature«. In einer klein gedruckten Fußnote ergänzte der kritische Menschenkenner ironisch: » ? und Gott gibt immer seinen Segen.« In der psychologischen Kriegsführung der westlichen Länder wird Gott nur noch selten als Verbündeter bemüht. In der islamischen Welt hingegen nimmt jene Propaganda zu, die direkt auf die religiösen Gefühle der Bevölkerung zielt. So wird der »dekadente« und »ungläubige« Westen von fanatisierten Mudschaheddin (Gotteskriegern) immer wieder als das Böse schlechthin verrufen; ihn zu bekämpfen gilt als besonders gottgefällig; Selbstmordattentäter können auf Ehrenplätze im Paradies hoffen. »Eine Propaganda, die ewige Seligkeit in Aussicht stellt, ist nicht zu übertreffen«, kommentiert lakonisch der amerikanische Medienwissenschaftler William Kaplan, »denn solche Heilsversprechen können nie als Lüge entlarvt werden.« Zunehmend schwerer einschätzen lässt sich auch der irdische Wahrheitsgehalt der Propaganda. Der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan (1911 ? 1980) warnte schon in den 1960er Jahren, dass die neuen Informationstechniken zur »Schaffung einer wahren Welt der gefälschten Bilder« missbraucht werden könnten.
Im Kampf um die Köpfe und Herzen ist »ein Bild mehr wert als tausend Worte« (William Kaplan). Eine Erkenntnis, die zu den Grundlagen der »Operativen Information« gehört. Am 24 September 2001 berichtete das WDR-Magazin »Polis«: »In Bosnien wurden 1992 Fernsehbilder aus angeblichen Folter-KZs ausgestrahlt ? nicht nur wider besseres Wissen, sondern bewusst gefälscht. Ein bis auf die Knochen abgemagerter Mann mit nacktem Oberkörper hinter Stacheldrahtzaun wurde zum bekanntesten Bild des Krieges: Ein britisches Kamerateam hatte die Aufnahmen gemacht, sie dienten lange Zeit als Beweis für die Existenz von Konzentrationslagern in Bosnien. Erst nach dem Krieg wurde die Szene als Fälschung entlarvt.« Nach dem Zweiten Weltkrieg schämten sich viele Deutsche, dass sie der Nazi-Propaganda ins Lügennetz gegangen waren. Wer heute seine Sinne beisammen hat, kann die in alten Filmen dokumentierten Auftritte des einst als »genialer Redner« umjubelten Adolf Hitler nur noch als abstoßend empfinden. Ein geifernder Hetzer, halb Schmierenkomödiant, halb Hysteriker.
Wie konnte er diese verheerende Macht über die »Köpfe und Herzen« gewinnen? Nach einer eher pessimistischen Theorie ist jede erfolgreiche Propaganda ein Dialog: Die Verführer sagen und zeigen den Verführten nur das, was diese insgeheim hören und sehen wollen, um präventiv ihr Gewissen zu beruhigen. Der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky, der 1933 von den Nazis verfemt und ausgebürgert wurde, propagierte den Widerstand gegen die Verführer. Unter dem Titel »Wenn sie wieder lügen« hat er fünf Leitsätze formuliert (siehe Kasten auf dieser Seite), mit denen man sich in politischen Krisenzeiten gegen halbe Wahrheiten und ganze Lügen rüsten kann. Einer dieser Leitsätze lautet: »Alle Kriegsherren haben einen gemeinsamen Feind: die Wahrheit.«

Autor: Frank Nicolaus (PM)
 
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