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Brummelchen
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Eure Hemden - Textile Politik
(wozu eine OCR alles gut ist )
Textile Politik
Bergeweise Textilien gehen in diesen Tagen im Berliner Kanzleramt ein. Grund: Ein Kettenbrief, der seit einer Woche durchs Internet wandert: „Der Kanzler will unser letztes Hemd - und das schicken wir ihm jetzt." So die Idee, die bei Zehntausenden derart großen Anklang fand, dass sie spontan mitmachen wollten. Nun ja, zwischen Sagen und Tun ist auch bei den Kritikern des Kanzlerkurses noch ein Unterschied, denn bis zum Wochenende gingen nicht, wie angekündigt, 30 000, sondern „nur" knapp anderthalbtausend Hemden ein.
Dennoch ist der in Ironie gekleidete Akt der Unmutsäußerung eine gewichtige Angelegenheit für die Poststelle der Regierungszentrale. Die Hemden kommen nämlich weder an den Schröder noch in den Schredder, sie werden weitergeschickt an die Bielefelder Arbeitsloseninitiative „Bring's und kauf's". Ein gemeinnütziger Second-Hand-Shop, der auf diese Weise zum nutzbringenden Second-Hemd-Shop wird - und zwar streng nach den Ich-AG-Ideen àla Hartz.
Textile Demonstrationen kennt Schröder seit Bonner Zeiten: Zu jedem Treffen seines Bündnisses für Arbeit rollten Arbeitslosenhilfen einen „Arme-Socken-Teppich" aus, auf den die Teilnehmer dann treten mussten. Nun ist mangels Bündnistreffen der Eingang des Kanzleramtes stets frei. Sozusagen von den Socken.
Um die Kleiderordnung im Bund-Länder-Verhältnis ging es beim Eröffnungsabend der NRW-Landesvertretung. Der Kanzler legte sein staatsphilosophisch anspruchsvolles Manuskript über den Föderalismus aus der Hand und erklärte es mit eigenen Worten: Der Bund sagt, wo's lang geht, und die Länder führen's aus. Genossen freuten sich, den Parteichef bei diesen Worten mal wieder in blendender Laune zu erleben. Doch nach der Rede verfinsterte sich seine Miene wieder, und eisigen Gesichts trat Schröder ab.
Möglicherweise brauchte er noch eine Geschenkidee zur Hebung der Leistungsfähigkeit seines Kabinetts und war in Gedanken ebenfalls bei „Bring's und Kauf's": Brillen für Hans Eichel und Peter Struck, damit sie drohende Defizite und israelische Bestellungen besser erkennen, Ohrenschützer für Ulla Schmidt, damit sie mit den Protestschreien der von ihrer Politik Betroffenen leben kann, und neue Anzüge für seinen Vizekanzler Joschka Fischer, der wieder sichtlich fülliger geworden ist und die Knöpfe bedrohlich auf Spannung bringt. Neue Gürtel gibt es ohnehin für alle - zum Engerschnallen.
Der Auslandsgeheimdienst des Kanzlers setzt zur Imagewerbung ebenfalls auf Textiles. Der Berliner BND eröffnet demnächst einen Souvenir-Shop. Ein Objekt potenzieller Käuferbegierde: Slips mit Aufschriften wie „Nur für den Dienstgebrauch" oder „amtlich geheim gehalten". Offenbar stand der Erfolg der Berliner Verkehrsgesellschaft Pate, die seit Jahren Unterwäsche mit den Namen von Bahnstationen anbietet. „Gleisdreieck" etwa, oder „Krumme Lanke". Die Wäsche-Idee ist somit ein alter Hut - auch als Schlapphut. may-
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