Der Aufbau des Gleitsichtglases: Hier Teile ich einfach mal pauschal in 4 Kategorien ein. Diese gibt es so natürlich nicht, je nach Hersteller sind es bedeutend mehr. Dies ist eine vereinfachte Darstellung.
Nr 1: Die Alten von früher. "Harte" Glasdesigns. Schöner, großer und stabiler Fernbereich, ebenso der Nahbereich. Zwischenbereich (z.B. Entfernung zum PC) Quasi nicht vorhanden, zumindest nicht wirklich nutzbar. Durch den harten Übergang starke Schaukeleffekte und Verzerrungen in diesem Bereich. Diese Gläser sind im Einstieg schlecht verträglich, sorgen häufig für Schwindel und Unsicherheiten. Feste, vorderflächige Progression, Rezeptwerte auf der Rückfläche. Starrer Aufbau, bei Höheren stärken oft sehr problematisch. Durch die vorderflächige Progression kommt es zu einer höheren Eigenvergrößerung und dadurch starken Verzeichnungen und Aberrationen.
Nr. 2: Die neuere Komfort-Klasse: "Weiche" Glasdesigns. Die Aufteilung der Fehlerbereiche kann durch moderne Freiform-CNC Fertigung intelligenter Gestaltet werden. Beim Blick seitlich durch das Brillenglas kommt kein Bereich, der plötzlich unscharf ist. Man läuft langsam in eine Unschärfe hinein. Die Übergänge sind weicher. Man ist nicht mehr gezwungen den Kopf in Blickrichtung mit zu drehen, zumindest nicht im gleichen Maße wie mit einem "harten" Glas. Durch die weicheren Übergänge gibt es deutlich weniger Schaukeleffekte und das Glas ist für Anfänger erheblich angenehmer. Der Nachteil: Die Unschärfen sind über größere Bereich des Brillenglases verteilt, nur eben unauffälliger.
Nr. 3: Die "teuren". Das Glasdesign wird wieder hart, nur auf moderne weise. Die Abbildungsfehler werden ganz in die peripheren Ränder verlagert. Aber durch aufwändige Berechnungen (für jeden Bestellwert individuell!) auf eine ganz andere weise wie früher. Durch zeitgemäße Berechnungs- und Fertigungstechnik werden die komplexen Flächen auf Vorder- und Rückseite des Brillenglases aufgeschliffen. Die ungewünschten Verzerrungen durch das harte Glasdesign werden durch den betriebenen Aufwand kompensiert. Bedeutet größere, nutzbare Bereiche. Nur ohne die unerwünschten Nebeneffekte.
Nr. 4. Die Halsabschneider-Preisklasse. Hier wird so ziemlich alles, was über den Brillenträger in Erfahrung gebracht werden kann mit in die Berechnung des "Mappings" (So nennt man den Aufbau und Verteilung der Bereiche des Gleitsichtglases) einbezogen. Hier wird nicht nur der Sitz der Brillenfassung mit Berücksichtigt. HSA = Hornhautscheitelabstand, VN = Vorneigung der Fassung, FSW = Fassungsscheibenwinkel, gewohnter Leseabstand und Berücksichtigung des Augenabstands und des Inset zur Anpassung des Verlauf des Progressionskorridore an die Konvergenz der Augen, Berücksichtigung der Stärkenunterschiede zwischen rechtem und linkem Auge zum Ausgleich von Aniseikonie und Berechnung der unterschiedlichen Korridorlängen durch die prismatischen Ablenkungen im Progressionskanal. Korrektur des Basiskurvenfehlers durch Berechnung der idealen Basiskurve für jede Stärke im Progressionskanal (mehrere tausend pro Glas), Korrektur der Abbilungsfehler höherer Ordnung (Koma, sphärische Aberration, Astigmatismus schiefer Bündel, Verzeichnung, chromatische Aberration, Wellenfrontoptimierung). Und Berücksichtung der Lebensgewohnheiten zur optimalen Verteilung der Flächenastigmatismen. Berücksichtigung des binokularen (beidäugigen) Sehens (Gläser werden immer als Paar berechnet, nicht jedes Glas für jedes Auge einzeln).
Das Problem mit der Augenoptik heutzutage:
Der Verbraucher hat keinerlei Möglichkeit, wirklich Vergleiche zu ziehen. Man bewegt sich hilflos in einem Dschungel von willkürlichen Bezeichnungen. Premium Plus, Diamant, E_Class oder Markenglas aus dem Hause Zeiss (Ebenso aussagekräftig wie Marken-PKW aus dem Hause des VAG-Konzerns, kann alles sein). Es existieren scheinbar 3 Kategorien, breit, breiter, am breitesten
Irgendwann haben große Ketten mit dem unerbittlichen Preiskampf begonnen, und das hat nicht zu Vorteilen des Konsumenten geführt. Denn die gesunkenen Preise bedeuten nicht, dass man ein Schnäppchen gemacht hat. Gläser die man früher als Mittelklasse bezeichnet hätte, werden heute als Super-Spitzenprodukt für ein Glas geschenkt angeboten. Dem Preiskampf geschuldet werden die Optiker zu Verkäufern gedrillt, um mögliche Provisionen abzusahnen. Beratung und Refraktion werden häufig nur noch von Anlernkräften durchgeführt, die nicht wirklich wissen was sie da tun. Denn das teuerste an der Gleitsichtbrille sind nicht die Einkaufspreise, sondern - oh wunder - die Personalkosten. Und hier wird gespart.
Sehr wichtig ist zu verstehen, dass eine Brille mit Gleitsichtgläsern eine sehr komplexe Angelegenheit ist. Es ist
viel wichtiger, dass alle Werte präzise Vermessen wurde, der Bedarf und die Gewohnheiten ermittelt wurden, und alles auch entsprechend gefertigt wurde. Die reine Qualität des Gleitsichtglases kommt erst danach, und zwar deutlich.
Ich habe häufiger Neukunden, die sehr unzufrieden von einem Billigheimer ein paar Häuser weiter zu mir kommen, und prinzipiell überhaupt nicht mit Gleitsicht zurecht kamen, und das auch nicht mehr wollen. Sie hätten ja das allerbeste Glas gehabt, und das auch überhaupt nur genommen weil es so ein Super-Sonderangebot war. Nach etwas Überzeugungsarbeit darf ich dann unverbindlich eine neue Gleitsichtbrille fertigen, mit vermeintlich "schlechteren" Gläsern der unteren Mittelklasse. Und siehe da - es funktioniert. Und unverbindlich kann ich es deswegen machen, weil ich max. 2-3 mal im Jahr eine Gleitsichtbrille wegen Unverträglichkeit zurück nehme. Nicht weil ich so ein supertoller Optiker bin, sondern weil Gleitsichtgläser heute durch die Bank relativ gut sind,
wenn man alles richtig gemacht hat.
In sehr vielen Fällen würde man auch so gut wie keinen Unterschied zwischen einem Gleitsichtglas der Kategorie Nr. 2 und Nr. 4 erkennen. Im Umkehrschluss kann man bei Kategorie 4 auch maximal viel falsch machen, durch die Komplexität der Ermittlung und Anpassung. Hier können gerne 2-3 Std. ins Land gehen, und erfordern eine fachlich Ausgebildete und regelmäßig geschulte Kraft. Wenns beim Optiker so läuft: "Kaufen sie das Beste, is eh grad so billig.." und es geht damit weder die notwendige Bedarfsermittlung noch eine nachfolgede Ermittlung aller benötigten Daten einher, Finger weg.