Dass hier in Deutschland natürlich Kinder - die z.B. mit an den Arbeitsplatz genommen werden - als eine Belastung angesehen werden, zeigt in meinen Augen nur, wie verrottet diese Gesellschaft mittlerweile ist. Was hindert ein Unternehmen denn eigentlich daran, bei den mittlerweile üblichen Büroarbeitsplätzen (gerade einmal 20% der Deutschen sind noch in der Produktion beschäftigt) für eine Versorgung der Kleinkinder zu sorgen und die wertvollen Arbeitskräfte (erziehendes Elternteil) zu behalten? Warum müssen hier immer junge Eltern, die sich in ihrem natürlichen Lebens- und Arbeitsraum um ihre Kinder kümmern wollen, wie Aussätzige behandelt werden? Warum kann es nicht einfach normal sein, dass man die Kinder mitnimmt?
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nur noch Dungzeitungs- oder focusfähige Stammelsätze hier rein zu schreiben, um niemanden zu überfordern. Aber die Schreibsucht lässt mich nicht los. Also los:
Wir - und damit meine ich uns als Gesellschaft - sollten vielleicht mal öfter und vor allem gründlicher reflektieren über Dinge, die wir gesagt oder getan haben. In einer Zeit der allumfassenden Information und Kommunikation fällt mir auf, dass zwar jeder zu allem etwas zu sagen hat - oft auch sinnvolle Dinge - , aber der "Tiefgang" vieler dieser Meinungsäußerungen immer seichter wird.
Bevor sich nun wieder jemand einen falschen Schuh persönlich anzieht: ich meine ausdrücklich unsere ganze Gesellschaft und ich meine mit Tiefgang auch nicht Schwermut. Mir fehlt in heutigen Gesprächen außerhalb des üblichen und notwendigen Smalltalks eine Ernsthaftigkeit, der Wille, nur Dinge zu äußern oder durchzuführen, die man nicht nur "angedacht" hat, sondern bis in jede letzte Konsequenz "durchgedacht" hat. Vielleicht ist deshalb der echte Konjunktiv in den letzten 30 Jahren ausgestorben, weil diese Verantwortung verschütt ist.
Meinen Großvater habe ich früher gerne dabei beobachtet, wie er sich um jedes Wort mit sich selbst gestritten hat, bevor er es aus dem Gehege seiner Zähne entließ. (nb. ein schönes altes Bild von Curt Goetz. Er betonte dabei das Wort "Gehege").
Nehmen wir mal einen Satz, den vermutlich jeder hier im Forum unterschreiben könnte.
Ein Tier soll nach seinen natürlichen Bedürfnissen gehalten/aufgezogen werden.
Angesichts der gerade laufenden Diskussion um Käfiggrößen in der in Hühnerartikelproduktion liegt der wohl jedem auch gerade auf der Zunge (im "Gehege"). Wir könnten den jetzt gleich "entlassen".
Ist ja auch einfach.
Sprechen haben wir ja gelernt.
Reden aber offensichtlich sehr viel weniger. Dazu gehört nämlich Schachspiel. Die Grundkonstellation (Problem und Anliegen, vielleicht auch schon eine Strategie) im Kopf, verschiedene Züge (Worte oder Wörter) gedanklich durchspielen und dann - immer noch im "Gehege" - das zu Sprechende "züchten".
Hier würden uns in unserem Beispiel vielleicht verschiedene Sachzwänge des Tierhalters einfallen und/oder unsere eigene Liebe zu Tieren.Vielleicht hat der eine oder andere schon einmal lebensbedrohliche Enge verspürt - ob jetzt ökonomisch oder in einem realen Käfig. Das kann man dann alles schön mit einfließen lassen. Kann unser kleines rhetorisches Kunstwerk jetzt raus zum Spielen?
Ich würde das verneinen. Haben wir wirklich alle Konsequenzen erfasst oder können wir noch einen Hinweis geben auf zu ziehende Konsequenzen? Haben wir zumindest im Groben alle wichtigen Möglichkeiten durchgespielt?
Was ist "natürlich"? Ist das für eine Katze das 2-Raum-Wohnklo im 3.Stock, nur weil sie nie was anderes kennengelernt hat? Ist es für den Hund der tägliche Spaziergang drei Blöcke hoch und dann wieder an den selben "Zeitungsständen" (Bäumen) zurück?
Was denkt/fühlt ein Tier? Ist die kleine Angoraratte von der Hilton-Truutsche wirklich schmerzempfindlicher als der gelernte Straßenköter auf Malle?
Wie weit sind bei welchem Tier Angst und Bewußtsein entwickelt?
So lange wir darauf keine Antworten haben, dürften wir von unserem Ausgangssatz eigentlich keine Abstriche machen. Wir als Gesellschaft erlauben uns aber, ihn durch Einschränkungen zu verstümmeln und zu kastrieren, in engste Behältnisse einzusperren und dann zur Konsequenz zu kommen: Wir schieben das Wort möglichst rein, und schon haben wir ein für alle Zeiten geltendes Gesetz, was niemand anfechten kann. Sind wir nicht toll?
Haben wir jemals solch ein Gesetz oder so eine gesellschaftliche Übereinkunft wieder auf den Prüfstand gestellt und nach den neuen inzwischen entstandenen Kriterien abgecheckt?
Ja, haben wir. Wir haben z. B. den § 218 und den § 175 größtenteils geändert und gestrichen, weil die ethischen Einschätzungen sich geändert haben. Aber können wir uns noch daran erinnern, was das für ein Kampf war, z.T. über Jahrzehnte hinweg? Die Auseinandersetzung um Änderungswünsche am § 218 hat jetzt in den CDU-Jahren wieder zugenommen.
Bei all diesen Gedanken haben wir aber vergessen, die Bedeutung unseres Satzes für die Gesellschaft ab zu prüfen. Wir haben zwar ordentlich nach den Gefühlen gefragt und auch die wirtschaftliche Seite berücksichtigt, so dass sich jeder mit diesem Grauzonenerguss abfinden kann, aber wir haben die wichtigste Frage verdrängt:
Ist der Mensch ein Tier?
Oder gelten die Naturschutzgesetze (bei uns ja teilweise im Verfassungsrang) nur für Geschöpfe, die uns nach landläufiger Meinung "unterlegen" sind? Mal abgesehen davon, dass es nach neuester Forschung immer zweifelhafter wird, ob z.B. Delphine nicht wesentlich klüger und empfindsamer sind als wir, die wir wie geisteskrank jede Natur zerstören und ausbeuten? Reden sie vielleicht nur deswegen so wenig mit uns? Oder sind wir nur zu blöde, ihre Sprache zu verstehen? Oder haben wir nur das - angebliche - Gotteszitat "Macht Euch die Erde untertan!" falsch verstanden? Gibt´s dafür Quellennachweise?
Vielleicht hat der clevere Schreiber dieses Zitates ja was ganz anderes gemeint mit "untertan"? Wieso befolgen wir bis heute noch blindlings dieses Wort, das wir sonst eigentlich gar nicht mehr kennen? Was bedeutet "untertan"? Können wir z.B. davon ausgehen, dass dem "Obertanen" in alten Zeiten vielleicht mehr Verantwortung auferlegt war? Dann würde es einen Sinn machen. Statt Hunderte von Quadrat- Kubikmetern Erde zu zerstören, um eine Brücke zu bauen haben sich die alten Cherokee einen Baumstamm über den Bach gelegt. Der hielt als Brücke etwa ein halbes Menschenleben und gut wars.
Natürlich kann man heute nicht alles nach der Weisheit des ollen Indianerhäuptlings zurückmodeln. Aber da wir uns ja heute so eine grandiose Gesellschaft aufgebaut haben, wer hält uns davon ab, den ganzen getanen Stuß nach und nach erneut auf die Waagschale zu legen. Neue Erkenntnisse sind ja genug da.
Wenn es uns gelänge, mit etwas mehr Aufmerksamkeit durchs Leben zu stolpern, müsste es doch ein leichtes sein, auch dem Menschen wieder einen "seinen natürlichen Bedürfnissen" angepassten (Arbeits-)Platz zu schaffen. Geht nicht? Unsere Nicht-Heteros könnten uns ja mal Nachhilfe-Unterricht geben, wie man einen eisernen § und sein ganzes windiges und doppelmoralisches Umfeld weghaut. Auch wenns dauert, es könnte sich lohnen.
Auch um die Gattung Mensch ein bisschen mehr gegen "Welt"untergänge und Sintfluten zu wappnen. Denn Natur wird uns alle überleben. Insofern: zurück zur Natur.
Und die besteht eben nicht unbedingt aus "Teile und Herrsche" (Manager vs. Lohnsklaven). Oder aus (als Gesellschaft selbst gebastelten) Sachzwängen wie z.B. Großraumbüros, in denen für jeden Angestellten 50x50 cm (Stuhl) plus 2x1 m zum Flügelausschütteln (Schreibtisch) bereitstehen. Legepausen nach Vorgabe des Tarifvertrags, Schlafzwang mit Lichtaus nach Gutdünken des Arbeitgeberverbands. Fressen gibts einmal im Monat für alle, getreu dem McKinsey-Prinzip: wer hungern muss, ist zu faul, genug Körner zu bekommen oder zu blöde, mit dem Vorrat um zu gehen. Oh- da steckt ja Natur drin: Darwin pur.
In Berlin haben mal ein paar wildgewordene Ex-68er (ja die!) eine Aktion "Leben am Arbeitsplatz" geforced. Berlin war teilweise ideal dafür. Wohnen im 1. und 2. Hof, Produktion oder Büros im dritten Hinterhof. Da entstanden dann in den von Zille als Totschlags-Wohnungen titulierten Gebäuden 40 - 50 Arbeitsplätze in so etwas wie einer Großfamilienatmosphäre. Arbeitslose Späthippiemütter mieteten im Vorderhaus einen ehemaligen Verkaufsraum und setzten ihre und alle anderen Kiddies da rein. So entstand der Ausdruck "Kinderladen".
Wo dies möglich war, wurde das System kopiert oder verbessert, sogar in anderen Städten. Es funktioniert in vielen Formen bis heute, gerade in Berlin kenne ich viele solche Hinterhofbetriebe, von denen inzwischen manche weltweit operieren. Der durch die "Rütlischule" bekannt gewordene "Reuterkiez" wird im Augenblick (wenigstens der zum Kanal zu liegende Teil) in diesem Stil umgemodelt und leider auch "schickimisiert".
Wer hindert jetzt eigentlich unsere preisgekrönten Architekten, die an jeder Ecke ihre merkwürdig geformten Hundehaufen und Markierungen hinterlassen, mal ein Fabrik- und Wohngebäude hin zu stellen, das
den neuen Notwendigkeiten entspricht. Wenn es den Politikern wirklich ernst ist mit dem Nachdenken über Kinderlosigkeit und fehlenden Facharbeiternachwuchs*), warum erwähnt denn nie jemand solche erfolgreichen Dinge. Weil die Idee von durchgeknallten 68ern und ultralinken Hausbesitzern stammt? Und weil wir ja weiß Gott nicht noch mehr von denen wollen? Ich sag Euch und den Politikern was: die Leute in solchen Projekten vermehren sich trotzdem nachhaltiger als diese ganze DINKs in den preisgekrönten FDP-Silos und MBA-Etagen. Gott sei Dank!
-- Ach, noch was: damit, dass Leute wie Quno hier mal andere Sichtweisen aufzeigen, beginnt jede mögliche Veränderung. Wenn sie denn wirklich gewollt ist. Die anderen können sich ja weiter mit ihren Sachzwängen und Menschenhaltungsvorschriften beschäftigen. Aber hört dann auch bitte auf zu fragen, warum alles so ist wie es ist.
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*) Und wenn ich hier schon mal Schnapsideen auspacke: Das Pflege- und Altenabschiebeproblem könnte hier auch noch mit reingepackt werden.