[...] jeder, der nicht fett in der Wirtschaft steckt, verliert mit CDU/CSU/FDP [...]
Nicht ganz.
Ich habe mich letztens in einer interessanten Diskussion über die schwarz-rote Wirtschaftspolitik und die Euro-Rettung wiedergefunden. Ich verstehe mich selbst nicht als Wirtschaftsexperte oder -kenner, doch war mir nicht bewusst, wie wenig die Grundlagen der Wirtschaftspolitik bei meinem Gegenüber ausgebildet waren. Letztendlich haben wir aneinander "vorbeidiskutiert", ich mit meiner mehr oder wenig fachlich ausgebildeten Meinung und mein Gesprächspartner mit seinen - ja, ich muss sagen - "Stammtischargumenten".
Ich beschloss daraufhin, diese Grundlagen anderen Menschen näherzubringen. Am meisten Menschen erreiche ich über dieses Forum, deswegen folgt jetzt eine kleine wirtschaftliche Aufklärung à la bastla - es gibt nämlich nichts schlimmeres, als auf unterschiedlichen Ebenen zu diskutieren. Also habe ich in der Suchmaske "Wirtschaftspolitik" eingeben, et voila, dieser Thread hier erschien mir passend.
Ich werde versuchen, politisch neutral zu schreiben/erklären.
Fangen wir an: Man unterscheidet in der Wirtschaftspolitik zwei Lager,
angebotsorientierte Wirtschaftspolitk und
nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik. Diese beiden Lager streiten sich um die Rolle des Staates in der Wirtschaft einer Nation. Ziel beider Lager ist es, im Falle einer
Rezession das Wachstum der Wirtschaft wieder herzustellen. Denn, das ist einleuchtend und klar, nur wirtschaftliches Wachstum kann die Lebensumstände erhalten und ausbauen.
Angebotsorientierte Wirtschaftspolitiker, das sind meistens Neoklassiker (also Verfechter der freien Marktwirtschaft/des Kapitalismus), sind der Ansicht, dass der
Staat so wenig wie möglich in die Wirtschaft eingreifen sollten. Sie fordern einen sogenannten
Nachtwächterstaat, der nur dafür sorgt, dass die Rahmenbedingungen für komplett freien Handel sichergestellt sind (dazu zählen unter anderem Durchsetzung des Vertragsrechts, stabile Außen- und Handelspolitik, Bereitstellung öffentlicher Güter, wie Bildung, etc). Infolge dessen meinen sie auch, dass im Falle einer Rezession (wo die eigentliche Wirtschaftspolitik aktiv wird) der
Angebotsseite (also den Unternehmen, Produzenten/Dienstleistungsanbietern, Arbeitgebern)
geholfen werden sollte. Sie glauben in vollem Umfang an die Selbsheilungskräfte des Marktes, an den Preismechanismus, an das sich selbst findende Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot. Sie fordern typischerweise Sachen wie Lohnnebenkostenkürzungen, Abbau von Sozialleistungen - also alles, was optimale Produktionsbedingungen schafft.
Weitere Werkzeuge: Subventionsabbau, Flexibilisierung der Arbeitszeiten (Zeitarbeit, Leiharbeit).
Nachfrageorientierte Wirtschaftspolitiker gehen dagegen davon aus, dass im Falle einer Rezession der
Staat so stark wie möglich in die Wirtschaft eingreifen sollte, da das Spiel von Nachfrage und Angebot im Falle einer Rezession ja offensichtlich versagt hat. Statt also diesen Kräften wieder optimale Bedinungen zu schaffen, muss der Staat regeln, was die Wirtschaft nicht hinbekommt. Sie wollen die
Nachfrage hochhalten. Im Falle einer Rezession soll der Staat investieren (beispielsweise durch Sanierung der Straßen/Brücken, Aufrüstung etc) und somit die Nachfrage künstlich hochhalten. Dazu soll der Staat auch Schulden aufnehmen, die die Wirtschaft, wenn sie wieder im Wachstum ist, durch Steuern wieder zurückzahlen soll. Das nennt man
deficit spending.
Die Wirtschaft schrumpft (Rezession), der Staat fängt durch Investitionen diese Talfahrt ab.
Die Wirtschaft zieht wieder an (Wachstum), der Staat fängt durch Erhöhungen der Steuern diesen Aufschwung ab, um ein Überhitzen des Marktes zu verhindern.
Kurzes Resüme:
- Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik geht davon aus, dass langfristig der Markt sich selbst heilt.
(Skepsis gegenüber der Fähigkeit der Politik das Marktsystem durch staatliche Maßnahmen zu stabilisieren, deshalb sind die Bedingungen für Produktion und Investition zu verbessern, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Günstige Angebotsbedingungen erhöhen die Rentabilität und damit die Tendenz zu Investitionen.)
- Nachfrageorientierte Wirtschaftspoltik hält dagegen, dass langfristig nicht reicht, der Rezession muss unverzüglich entgegengewirkt werden (das kann halt nur der Staat). (Ich zitiere hier gerne Keynes: "Langfristig sind wir alle tot.")
(Beschäftigung hängt an der Gesamtnachfrage und diese wiederum vom Volkseinkommen ab. In der Krise kann kein anderer Wirtschaftsfaktor außer der Staat die Gesamtnachfrage ankurbeln)
Jetzt können wir schonmal die Parteien in dieses Schema einordnen:
- Angebotsorientiert (schwacher Staat, liberaler Staat, Nachtwächterstaat): CDU/CSU, FDP, AfD
- Nachfrageorientiert (starker Staat, regulierender/eingreifender Staat): SPD, Grüne, Linke
Das sind natürlich keine Wundermodelle, zumal sich beide komplett gegenseitig ausschließen.
Kommen wir zu den Schwachpunkten der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik:
- Kritiker werfen den Befürwortern eines aktiven, starken und Staates vor, dass der Staat zum einen die Nachfrage durch Investitionen künstlich hochhält. Dieser Strohfeuereffekt sorgt dafür, dass der Aufschwung zusammenbricht, sobald keine Investitionen mehr getätigt werden. Deficit spending ist demnach nur eine kurzfristige Lösung.
- Zum anderen ist der Staat nicht in der Lage, zeitnah auf einen Konjunkturbschwung zu reagieren, sodass Investitionen getätigt werden, wenn die Konjunktur wieder steigt. Dann verdrängt die staatliche Nachfrage sogar die private - der gegenteilige Effekt tritt ein.
- Ebenfalls besteht die Gefahr eines Überreagierens des Staates (besonders, wenn er zeitnah aktiv werden will), sodass sinvolle Strukturveränderungen auf dem Markt behindert werden. Beispiel Bergbau: Durch staatliche Subventionen wurde dieser, mittlerweile nicht mehr ertragreiche, Markt künstlich am Leben gehalten. Ohne Subventionen, im freien Markt, wäre dieser längt durch die Marktkräfte zugrunde gegangen.
- Schulden zu machen ist für jeden Politiker einfach (zumindest sobald es die Situation - hier die Rezession - erfordert). Diesen Schuldenberg jedoch im Wachstum durch Erhöhung der Steuern wieder abzubauen, ist (besonders in Zeiten des Aufschwungs) für Politiker schwer zu rechtfertigen. Sprich: Schulden sind leicht gemacht, but they last.
Doch auch die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik hat Schwachpunkte:
- Kurzfristig kann der Markt einer Rezession nicht entgegenwirken (auf jeden Abschwung folgt zwar ein Aufschwung, doch dazwischen können Jahrzehnte liegen).
- Es ist keinesfalls sichergestellt, dass private Unternehmen Investitionen tätigen, wenn eine optimale Marktlage herrscht. Investitionen bemessen sich nämlich nur am möglichen Profit.
- Niedrige Löhne erhöhen zwar die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich (sodass auch ausländische Investoren angelockt werden), sie schaden der Wirtschaft aber auch indirekt selbst, da die private Nachfrage sich vor allem an den Löhnen orientiert (man beachte Deutschlands starkte Exportwirtschaft).
Es wird ziemlich schnell ersichtlich, dass weder die blinde Durchsetzung der nachfrage-, noch der angebotsorientieren Wirtschaftspolitik zu dem gewünschten Ergebnis führt. Politiker greifen deswegen zu einem
policy mix: Durch Konjunkturprogramme, also durch Investitionen, wird die Nachfrage im Falle einer Rezession kurzfristig künstlich angekurbelt. Im weiteren Verlauf, spätestens beim Auslaufen der Konjunkturprogramme, wird das Wachstum durch angebotsorientierte Werkzeuge, wie Leiharbeit, gesichert.
Ich komme zurück zur Realität und zu Griechenland: In Griechenlands Wirtschaft hat man jahrelang investiert, ein klassisches Beispiel wie der Schuldenberg anwuchs und nicht zurückgezahlt werden konnte. Die Reformen, die Merkel dem Land nun aufzwingen will, kommen nicht von ungefähr: Um langfristig Wachstum sicherzustellen, muss der griechische Markt weg vom "staatlichen Tropf" kommen.
Auch in Deutschland gab es mit der Agenda 2010 solch eine schmerzhafte Reform. Solche Reformen zeigen kurzfristig keine Wirkung, sondern entfalten erst auf längere Sicht ihre Wirkung. So war diese Reform Schröders politisches Ende, während die nachfolgenden Regierungen (wie die schwarz-gelbe) die Lorbeeren dafür einfuhren. Es ist im Übrigen auch klar, dass solche sozialen Einschnitte, wie sie die Agenda 2010 mit sich brachte, nur von der SPD gemacht werden können.
Letztendlich ist Wirtschaftspolitik immer ein Wechsel von angebots- und nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik, bestimmt durch die aktuelle wirtschaftliche Lage. Insofern ist es auch veständlich, dass in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs die SPD ihre damals (Agenda 2010) getroffenen Entscheidungen wieder rückgängig macht, Stichwort Mindestlohn. Zur damaligen Zeit war die Reform unausweichlich, nun erfolgt eine "Rückbesinnung" auf die jeher gepflegten politischen Werte.
Ich hoffe, dass ich diese Erklärung zumindest eine kleine Vorstellung von den Grundlagen vermitteln konnte.
Gruß
bastla