[Politik] Gesetzliche Krankenversicherung - Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden

koloth

Chef-Hypochonder
Gesetzliche Krankenversicherung - Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden

So ganz klammheimlich und kaum bemerkt ist ein Teil des SGB V neu gefasst worden.
Für die gesetzlich krankenversicherten Personen ändert sich etwas, was man in der Folge sicher noch gar nicht abschätzen kann (in Kraft getreten ist die Änderung April 2007).

Erstmals ist nämlich das Verursacherprinzip in das Gesetz mit aufgenommen worden.

Da heisst es, dass Folgekrankheiten, die z.B. aus einem Piercing entstehen, nicht oder nur zum Teil von der Kasse übernommen werden.

Mit anderen Worten:
Durch Pfusch oder wie auch immer kommt es möglicherweise zu einer Blutvergiftung, die Kosten dafür zahlt (teilweise) der Versicherte.

Wenn man nun dieses Verursacherprinzip weiterdenkt (Rauchen, Alkohol, extreme sport, ...), kann einem Angst und Bange werden.

Wo fängt man an, wo hört es auf?
Hat sich der/die Dicke an den Folgekosten für Bluthochdruck, Diabetes etc. künftig auch zu beteiligen?
[provokation]
Wie sieht es mit einem behinderten Kind aus?
Durch Frühdiagnostik hätte man die Geburt ja evt. "vermeiden" können.
[/provokation]


Im Moment dürfte mit dem Wortlaut "durch eine medizinisch nicht indizierte Maßnahme" zwar vieles noch Zukunftsmusik sein, nur: Der Anfang dazu ist gemacht.

SGB V - Gesetzliche Krankenversicherung –

§ 52

Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden​



(1) Haben sich Versicherte eine Krankheit vorsätzlich oder bei einem von ihnen begangenen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen zugezogen, kann die Krankenkasse sie an den Kosten der Leistungen in angemessener Höhe beteiligen und das Krankengeld ganz oder teilweise für die Dauer dieser Krankheit versagen und zurückfordern.

(2) Haben sich Versicherte eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte Maßnahme wie zum Beispiel eine ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen, hat die Krankenkasse die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld für die Dauer dieser Behandlung ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern.
 
AW: [Politik] Gesetzliche Krankenversicherung - Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden

ot:
Ich habe passiv mitgeraucht, und habe jetzt Lungenkrebs.
Tja, tut uns Leid, sie müssen die Behandlung selber zahlen.

Hätten Sie aufgehört zu atmen, währen Sie zwar gestorben,
aber sie hätten nicht Ihre Krankheit selbst verschuldet.


Wie pervers ist den so ein Gesetz :eek:
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: [Politik] Gesetzliche Krankenversicherung - Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden

Es ist halt wie so oft. Wer hat angefangen? Die Krankenkasse, die alles tut um den Mitgliedern weniger zahlen zu müssen, damit mehr für die repräsentativen Geschäftsstellenneubauten übrig bleibt. Oder der Einzelne, der sich beim Einbruch den Knöchel bricht und nun von der Krankenkasse die Behandlungskosten erstattet bekommen will oder möchte, dass die KK bezahlt, damit 50% des Silikons wieder aus den Lippen geholt werden kann?
 
AW: [Politik] Gesetzliche Krankenversicherung - Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden

Grundsätzlich ist so ein Verursacherprinzip natürlich nicht falsch, die Frage ist halt wie man damit umgeht.

Solange Nikotin und Alkohol vom Staat legalisierte Drogen sind wird man sich da imho schwer tun, schließlich verdient der Staat auch an deren Mißbrauch nicht unerheblich mit.

Konsequenterweise müßte man also Nikotin und Alkohol verbieten, wohin das führt hat (zumindest beim Alkohol) die Prohibition in den USA gezeigt.

Aber das Beispiel mit dem Piercing ist nicht schlecht gewählt, schließlich gibt es für ein Piercing, Branding oder Tattoo (und was es sonst noch gerade so moderne und coole Selbstverstümmelungen gibt) absolut keine medizinische Notwendigkeit, die kann man auch bei noch so großer Wortgewandtheit nicht herbei reden.

Bei Extremsport sieht ist das wieder schwieriger, schließlich ist Sport erst mal grundsätzlich der Gesundheit förderlich.

Vermutlich wird es dann eben Listen mit "Ausschlußsportarten" geben, die nicht mitversichert sind und die man ggf. extra absichern muss. Das ist aber bei nahezu jeder anderen Versicherung auch so, in der Kfz-Teilkasko ist z.B. ein Autoradio bis zu einem gewissen Wert mitversichert, wer sich jetzt sein Auto unbedingt zu einer fahrenden Disco mit Audio-Equiment im Wert von 10.000 Euro aufrüsten will muss das gesondert mitversichern.

In der Hausratversicherung ist der "übliche" Hausrat mitversichert, die Gemäldesammlung eben nicht, usw.

Bei den Diabetikern ist das so eine Sache, die überwiegende Zahl aller Diabetiker ist mehr oder weniger (teilweise extrem) übergewichtig und extrem beratungsresistent.

Diabetes ist eine echte Zivilisationskrankheit und in Entwicklungsländern nahezu unbekannt, mir liegen keine genauen Zahlen vor (müsste ich mal unsere Diabetesberatung im Krankenhaus fragen), aber ich schätze mal das (unabhängig von Schwangerschafts- und echter Altersdiabetes) mehr als 75% der Diabeteserkrankungen in Deutschland durch Fehlernährung (vermutlich vom Säuglingsalter an) gewissermaßen selbstverschuldet sind.

Aus meinem Bekanntenkreis kenne ich zwei Schwerstdiabetiker von denen sich einer so einigermaßen an seine ärztlichen Verordnungen (auch bezüglich der Ernährung) hält und der andere gar nicht (extrem übergewichtig, ißt für drei, treibt keinen Sport und trinkt auch gerne Alkohol, das Rauchen hat er allerdings aufgegeben).

Als Fazit kann ich nur sagen das ich dem ganzen zwiespältig gegenüber stehe:

grundsätzlich halte ich ein Verursacherprinzip bei tatsächlich selbstverschuldeten Erkrankungen/Verletzungen nicht für falsch, andererseits sehe ich die Gefahr des Mißbrauches durch die Versicherungsträger.
 
AW: [Politik] Gesetzliche Krankenversicherung - Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden

Grainger schrieb:
Als Fazit kann ich nur sagen das ich dem ganzen zwiespältig gegenüber stehe:

grundsätzlich halte ich ein Verursacherprinzip bei tatsächlich selbstverschuldeten Erkrankungen/Verletzungen nicht für falsch, andererseits sehe ich die Gefahr des Mißbrauches durch die Versicherungsträger.

So ähnlich sehe ich das auch. Nur wo ist die Grenze?

Ca. 50% der Blutdruck-Patienten nehmen nach einem Jahr ihre Medikamente nicht mehr. Hoher Blutdruck macht ja keine Schmerzen.
Ist jetzt aber die Niereninsuffizienz, die evt. in der (teuren) Dialyse endet, dann selbstverschuldet, weil im Hochdruck die Nierenleistung viel schneller abnimmt als bei ordentlich eingestellten Patienten?

Bestimmte Blutdruck-Medikamente sind, speziell bei schlechterer Nierenleistung, eindeutig "nierenschützend" (die Leistung der Niere nimmt viel langsamer ab). Nur sind sie teurer als ältere Medikamente, sie werden oft von der GKV dann nicht bezahlt. Andere hingegen fördern sogar die Entstehung von Diabetes. Und die Kombination Diabetes/Hochdruck ist für die Nieren nochmal schädlicher. Diese Medikamente werden aber bezahlt.

Ist die Dialyse dann evt. sogar durch die GKV verursacht?
Mit den Kosten der teureren Arzneimedikation kann man viele Patienten sinnvoller behandeln. Mit nur einer vermiedenen Dialyse hat man die Kosten dann lange wieder reingeholt.
 
Oben