[Diskussion] Arbeitszeugnisse - was sind sie noch wert?

chmul

Moderator
Teammitglied
Arbeitszeugnisse - was sind sie noch wert?

Jeder hat's schon mal gehört, die meisten auch selbst schon erlebt: Ein Arbeitszeugnis strotzt in der Regel vor Floskeln die dem Insider helfen zwischen den Zeilen zu lesen. Zumindest dann, wenn der Schreiber diesen Code auch zu Grunde gelegt hat.

Diskussionen (manchmal bis hin zu Gerichtsverhandlungen) um den Inhalt oder besser die Formulierungen sind beinahe schon an der Tagesordnung und langsam aber sicher kann man den Eindruck bekommen, dass die wenigsten Zeugnisse Informationen über die tatsächliche Bewertung enthalten.

Ich kenne einen Geschäftsführer der bei Formulierungen wie "zu unserer Zufriedenheit" sofort abwinkt, bei "stets zu unserer vollsten Zufriedenheit" aber davon ausgeht, dass der Bewerber bei seiner alten Firma 'weggelobt' wurde. Während meiner Lehre habe ich mitbekommen, dass mein Ausbilder dreimal ein Zeugnis neu schreiben musste, weil der Arbeiter immer was zu meckern hatte. Zum Schluß hat er gesagt der Arbeiter solle das Zeugnis selbst erstellen und hat dann nur noch unterschrieben.

Was sind solche Zeugnisse denn noch Wert? Was könnte man tun, dass sie wieder aussagekräftiger werden, ohne dass der Leser eventuell etwas rein interpretiert, dass der Verfasser gar nicht gemeint hat. Vielleicht könnte man eine Art Norm festlegen, die eine Zahl von Punkten umfasst (eventuell ein Mindestumfang und ein erweitertes Zeugnis) die dann im Schulnotensystem bewertet werden müssen. Ähnlich wie in der Schule Mitarbeit und Verhalten. Zum Beispiel Verhalten gegenüber Kollegen, gegenüber Vorgesetzten, Arbeitsleistung, Flexibilität, usw..

Dann gäbe es zwar noch Diskussionen über die Bewertung selbst (also die Note) aber es wäre eindeutig, was mit der jeweiligen Note gemeint ist. Was meint Ihr dazu?
 
Unser internes Leistungsbeurteilungssystem beruht schon auf diesem Prinzip. Es gibt knapp 20 Kriterien, die aber je nach Arbeitsgebiet nicht immer zu bewerten sind. Bei mir sind es glaube ich 14.
Zu jedem einzelnen Kriterientyp gibt es eine Punktetabelle, und zu jedem Punkterang ist schriftlich fixiert, wann er zu vergeben ist. Der einzige Spielraum, den der Vorgesetze noch hat, sind halbe Punkte.
Dieses System hat sich bewährt und wurde in den letzten 20 Jahren kaum verändert, weil alle damit zufrieden sind.
So müsste meiner Meinung nach auch ein normiertes Arbeitszeugnis aussehen - das wäre übrigens eine prima Aufgabe für die Arbeitnehmervertretungen ;)
Denn wie Du richtig sagst, beim Thema Arbeitszeugnis denkt inzwischen jeder nur noch an Sätze wie "er war stets bemüht..." - es wird ja nur noch zwischen den Zeilen gelesen.
In der jetzigen Form würde ich auf ein qualifiziertes Zeugnis ausdrücklich verzichten, sondern mir nur Art und Dauer der Beschäftigung bescheinigen lassen - da könnte man zwar gleich wieder denken, ich hätte was zu verbergen, aber wenigstens könnte man nichts falsch verstehen.
 
Wo ist das Problem ?

Ein Zeugnis MUSS wohlwollend formuliert sein.

Ich habe die Leute gefragt: Wollt Ihr, dass folgendes mit drin steht:


´Dieses Arbeitszeugnis enthält keine versteckten Formulierungen.
Eine Interpretation im Sinne einer ´Zeugnissprache´ gibt nicht die Meinung des Verfassers wieder.´

...(oder so ähnlich)...


Gruss
Tim
 
Ein Zeugnis muss zwar wohlwollend formuliert sein, es muss aber auch wahr sein.
Das hat das BAG schon in mehreren Urteilen bestätigt.

Als Zeugnisersteller kann man da durchaus in die Zwickmühle geraten, denn zumindest rein theoretisch könnte der nachfolgende Arbeitgeber bei einem guten, aber unwahren Zeugnis durchaus Regressansprüche geltend machen (ist zwar meines Wissens noch nie praktiziert worden, steht aber als rein formaljuristische Bedrohung im Raum).

Viele Arbeitgeber (der öffentliche Dienst sowieso) erwarten deshalb heute schon die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses vor Vertragsunterzeichnung, niemand will beispielsweise einen wegen Urkundenfälschung vorbestraften Buchhalter einstellen.

Trotzdem kommt einem Arbeitszeugnis durchaus noch eine gewisse Bedeutung zu.

Von den allgemein bekannten Standardformulierungen "(stets) zur (vollen/vollsten) Zufriedenheit" abgesehen (wobei einer meiner ehemaligen Chefs sich weigerte "zur vollsten Zufriedenheit" zu schreiben weil das schlechtes deutsch sei, denn voller als voll ginge ja wohl nicht :D) kann man ja bei einem guten Arbeitnehmer durchaus mehr ins Detail gehen, die Aufgabengebiete genauer beschreiben, auf Belastbarkeit in Stresssituationen eingehen, usw.

Große Sch*ße sind natürlich alle Formulierungen die das Wörtchen "bemüht" enthalten (war stets bemüht = hat es trotz guten Willens einfach nicht geschafft), die die Geselligkeit besonders hervorheben oder die ganz einfache Selbstverständlichkeiten besonders betonen (war stets pünktlich = bedeutet das genaue Gegenteil, den Pünktlichkeit gehört ohnehin zu den ganz selbstverständlichen arbeitsrechtlichen Pflichten und sollte keiner besonderen Erwähnung bedürfen).

Prägnant ist auch das Fehlen jeglicher freundlichen Schlußformulierungen (Herr ... verläßt uns auf eigenen Wunsch. Wir bedauern sein Ausscheiden und wünschen ihm alles Gute für seinen weiteren Lebensweg). Das hört sich jetzt vielleicht banal an, aber das BAG hat entschieden das der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf solch eine Schlußformulierung hat und diese allein dem Gestaltungswillen des Arbeitgebers unterliegt.
Da dies somit eine der wenigen Möglichkeiten ist bei denen der Zeugnisersteller vollkommen frei entscheiden kann ob er so etwas in das Zeugnis schreibt oder nicht wird dem heute schon eine besondere Aussagekraft bei gemessen.

Ich hatte hier schon Bewerbungen vorliegen, da hat bei keinem von ca. 10 Zeugnissen der Vorarbeitgeber das Ausscheiden seines Mitarbeiters bedauert. Irgendwie nimmt man das dann schon zur Kenntnis.
 
Original geschrieben von Grainger
... (wobei einer meiner ehemaligen Chefs sich weigerte "zur vollsten Zufriedenheit" zu schreiben weil das schlechtes deutsch sei, denn voller als voll ginge ja wohl nicht...

In Hessen hat - wenn ich das richtig mitbekommen habe - ein Arbeitsgericht genau das bestätigt. "vollsten" gibt's nicht.
 
´einfühlsam´ :D ist immer noch mein Favorit :D

(dicht gefolgt von ´war stets bemüht die Anforderungen zu erkennen´)

....hinterlässt eine Lücke, die er nie ganz ausgefüllt hat...

Bei einem qualifizierten Zeugnis sollten übrigens der Abteilungs UND der Personalleiter unterschreiben

Gruss
Tim
 
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