Was sind schon sieben Tote gegen einen Bluterguss im Oberschenkel...

Supernature

Und jetzt?
Teammitglied
Gerade eben im Radio: Sieben Tote bei Bombenanschlag während Public Viewing. Wäre das in der westlichen Welt passiert, würden alle Public Viewings abgesagt und man würde diskutieren, ob das Turnier überhaupt weiter gehen kann.
Glücklicherweise war das aber nur in Nigeria, und so konnte sich der Sprecher nach 20 Sekunden dem nächsten wichtigen Thema widmen: Dem Oberschenkel von Mats Hummels.

Hier die Meldung dazu

Was ist das nur für eine kranke Welt. Ja ich weiß, solche blöden Vergleiche könnte man jeden Tag anstellen, weil täglich an vielen Orten sinnlos Menschen sterben und wir das gleichgültig zur Kenntnis nehmen. Wir haben ja keine andere Wahl, andernfalls würden wir durchdrehen. Und es ist sogar richtig, dass wir uns dadurch nicht die Freude am Leben nehmen lassen. Aber dann müssen wir das eben auch konsequent durchziehen und dürfen auch keinen großen Aufstand darum machen, wenn mal wieder an der falschen Stelle ein Kochtopf platzt.

Musste gerade raus...
 
"Gefährliches Halbwissen":
Als die Zwillingstürme in sich zusammenfielen, hat MTV (ein damaliger Musiksender) eine Kampagne gezeigt, wurde aber gerichtlich verdonnert den Spot wieder aus dem Programm zu nehmen. Inhaltlich war gezeigt, dass in anderen Ländern (meist Kontinent Afrika) viel mehr Tote gab in der Zeit beim Einschlag der Flugzeuge und das zusammenbrechen der Türme.
 
Eigentlich müssten wir ach so intelligenten Westlichen die komplette WM boykottieren. Denn wie viele unschuldige "Slumdogs" wurden schon von der eigenen Regierung niedergeschossen, weil sie zu nahe an den Stadien wohnen bzw. wohnten und sich weigerten, wegen dem riesen Brimborium -das mit Geld finanziert wurde, mit dem man verbesserte Bildung und die Armen hätte finanzieren können- aus ihrer Heimat vertrieben zu werden?
 
Es hat überhaupt keinen Sinn, eine Sache mit einer anderen aufzurechnen, so sehr man auch massive Ungerechtigkeiten bemerkt. Das ist nur eine gesunde Basis, verrückt zu werden ;).
 
Ich habe über Supernatures Position nachgedacht.

Einerseits möchte ich ihm Recht geben.

Die mangelnde Empathie gegenüber Ländern, welche unserer Kultur fern scheinen, entspricht nicht gerade Kants kategorischem Imperativ. Krass ausgedrückt scheinen wir unterschwellig zu denken: "Bei den Negern passiert doch eh alle Nase lang 'ne Katastrophe, wen kümmert's?!". Wäre hingegen die Bombe in London oder Den Haag hochgegangen, würden wir gerade mit betroffenen Gesichtern die Sondersendungen verfolgen.

Andererseits hab ich ein Problem damit mich deswegen schuldig zu fühlen.

Gefühlt scheinen gerade wir Deutschen uns immer betroffen fühlen zu müssen. Ich bin da keine Ausnahme. Keine Ahnung, ob das von der Asche von Auschwitz, dem oben angeführtem kategorischen Imperativ vom ollen Kant oder dem deutschen Hang zu Pietismus herrührt.

Also versuch ich mich mal dem Problem logisch anzunähren.

Bin ich für dieses Ereignis direkt oder indirekt verantwortlich? Nein!
Liegt es in meiner Macht die aktuelle Situation zu verbessern und/oder zukünftige Geschehnisse dieser Art zu verhindern? Nein!

Objektiv muss ich mich also nicht betroffen fühlen.

Subjektiv hingegen schon.

Es sind schließlich Menschen. Dummerweise bin ich auch einer. Und meiner Erfahrung nach ist es menschlich, dass wir mehr Empathie für Menschen aufbringen, die uns ähneln. Vielleicht weil wir uns besser in sie hinein versetzen könne. Das dabei sicherlich auch rassistische Elemente mit rein spielen, möchte ich gar nicht mal bestreiten. Kein Mensch hat die 100% perfekte Gesinnung. Außer natürlich Claudia Roth. ;) Die Lebenswelt der Nigerianer ist mir nun mal fremder, als beispielsweise die der Engländer oder Holländer, die mir in jeder Hinsicht wesentlich näher stehen.

Fazit: Juhu! Ich muss mich nicht schuldig fühlen! Scheiß auf die Betroffenheit! Her mit dem Brot! Her mit den Spielen!
 
Ich wollte Niemandem Schuldgefühle andichten, auch wollte ich nicht Moralaposteln, und nein, einen Ausweg aus diesem Dilemma kenne ich auch nicht. Ich schrieb ja schon, wir haben keine andere Wahl als das schulterzuckend zur Kenntnis zu nehmen, weil wir sonst bekloppt werden.
Ich sehe da immer die Einzelfälle - immer wenn ein Mensch ums Leben kommt, ist das eine Katastrophe: Nämlich für die Menschen im direkten Umfeld wie Partner, Eltern Kinder etc. - und daher ist das scheißegal, WO auf der Welt das passiert. Vielleicht ist es in der reichen westlichen Welt sogar leichter zu kompensieren als wenn in einer armen Großfamilie der einzige Ernährer wegfällt.

Wie gesagt, man kann das Problem nicht lösen, man kann höchstens daran zerbrechen. Man kann aber sehr wohl die Dinge in die richtige Relation sehen. Und dabei komme ich dann eben zu dem Schluss, dass die USA wegen zwei Häusern und einem Schnellkochtopf mal nicht so einen Aufstand machen sollen, in der Relation gesehen ist ihnen noch nie was wirklich Schlimmes passiert.
 
Ich wollte Niemandem Schuldgefühle andichten, auch wollte ich nicht Moralaposteln, und nein, einen Ausweg aus diesem Dilemma kenne ich auch nicht.

Das wollte ich dir auch nicht unterstellen. Im Gegenteil: Ich teile deinen Standpunkt.


Ich frage mich bloß, ob wir da nicht auf dem Holzweg sind. Empathie gegenüber seinen Mitmenschen sehe ich grundsätzlich als etwas Positives. Aber wäre es nicht auch ein Stück Freiheit hier einfach ignorant zu sein? Ohne deswegen Schuldgefühle zu entwickeln?

Aber gut, das dürfte eine hochkomplexe, philosophische Frage sein, deren Diskussion im Rahmen eines Internetforums wohl kaum geleistet werden kann.


Man kann aber sehr wohl die Dinge in die richtige Relation sehen. Und dabei komme ich dann eben zu dem Schluss, dass die USA wegen zwei Häusern und einem Schnellkochtopf mal nicht so einen Aufstand machen sollen, in der Relation gesehen ist ihnen noch nie was wirklich Schlimmes passiert.

Unsere Kliniken produzieren, laut AOK-Report, jährlich 19.000 vermeidbare Todesfälle. Die Bemühungen diese Zahl zu verringern erscheinen mir überschaubar. Setzt man dazu den seid 2001, durch islamistischen Terror, produzierten Bodycount in Deutschland mit den gestiegenen Sicherheitsmaßnahmen in Relation, stellt man schon eine gewisse Diskrepanz fest.

Wobei man hier natürlich wieder das unterschiedliche psychologische Moment in Betracht ziehen musste. 9/11 war von der Art der Ausführung, von der medialen Rezeption und von dem Umstand gekennzeichnet, dass die USA so etwas nie erlebt hatten. Natürlich könnte man ihnen vorhalten, dass allein die PTBS-bedingten Suizide 9/11 weit in den Schatten stellen, aber Suizide sind halt wesentlich weniger spektakulär und rufen nicht annährend ein derartiges Gefühl der Bedrohung hervor.
 
Eigentlich müssten wir ach so intelligenten Westlichen die komplette WM boykottieren.

Genau das tue ich. Ich habe mir bisher nicht ein einziges Spiel angesehen und werde das auch weiterhin nicht tun. Solange die FIFA ungestraft ihre Mafiaähnlichen Strukturen durchziehen darf, ist dieser Sport für mich absolut gestorben.
 
Ich gucke praktisch keinen Fußball, egal ob in Hungerländern den armen Teufeln noch mehr Brot dafür vom Maul weggenommen wird, oder in Bonzenstaaten wie den Emitaten, die Milliarden rauschmeißen könne, ohne jemanden ein Körnchen wegzunehmen.

Das ist für mich unerheblich. Über die Zeit meines Lebens habe (mußte) ich mit eine Elefantenhaut zulegen, derweil ich mich weder für Mörder in Afrika, Asien, islambeherrschten Gebieten, Süd + Nord Amerike verantworlich fühlen kann. Wenn ich mir alles, was die Menscheit sich gegenseitig so antut zu Herzen nehmen würde, währe ich schon längst an Ihr, der Zivilisation und anderen Ungereimtheiten irre gewoden. Also Bewahre ich mein Mitleid für Familie und liebes Umfeld auf, da jedoch zutiefst. Der Rest der Welt soll mir den Buckel runterrutschen - denen schmeckt es auch weiterhin, egal wie dreckig es mir geht.
 
Eigentlich ist das ganz einfach: Je näher eine "Tragödie" an uns heran ist, desto stärker reagieren wir. Es können mir zwar wahrscheinlich fast 80% hier auf dem Board erklären, das Nigeria in Afrika liegt, aber wahrscheinlich nur noch ein Bruchteil (ohne nach zu sehen) wo genau auf diesem riesigen Kontinent. Und selbst Nigeria an sich ist selbst für sich noch einmal gar nicht so klein. Im Grunde genommen ist es in irgendeinem entfernten Kaff, weit weit weg, in einem fremden Land zu einem Unfall gekommen. Mit Toten. ... Tja.... bei jedem Massencrash auf der A1 gibt es mehr davon. .... Ach..beim Fußball schauen... mh... dann muss es ja erwähnenswert sein.

Ich kann dir nun nicht sagen, warum dies so überaus erwähnenswert ist, vor der Nachricht, das Hummels was am Knie hat. Fakt ist jedoch, das dies eine von ungefähr 50.000 wirklich schlimmen Nachrichten war, die zu diesem Zeitpunkt und zu dieser Stunde (oder kurz vorher) passiert sind. Rein statistisch sind in der Zeit, wo Hummels Knieprobleme hatte, mindestens 13.000 Babies vor Hunger schlicht verreckt. In Syrien, Afrika, Palestina, Chikago, China und wahrscheinlich in noch Dutzenden weiteren Ländern sind Menschen zu Tode gekommen. Meist durch Gewalteinwirkungen von anderen Menschen.

Haben die Nachrichten im Radio oder Fernsehen Zeit (und Lust?) all diese schlechten Nachrichten mitzuteilen? Eher unwahrscheinlich. Dafür ist die Nachrichten-Sendezeit zu begrenzt. Man nimmt eben das, was man berichten darf und welches schön reißerisch ist.

Im Grunde genommen ist das System der (zumindest von vielen) Radiosendern ganz einfach. Am Anfang kommt eine "Schock-Meldung". Dann hat man die Aufmerksamkeit des Hörers und kann über andere Dinge berichten.

Wie gesagt, man kann das Problem nicht lösen, man kann höchstens daran zerbrechen.
Öh... Jain. Also ja, wenn so etwas passiert, kann man es nicht mehr ändern, aber es ist aus meiner Sicht durchaus möglich etwas präventiv dafür zu tun. Dies würde jedoch ein gewaltiges umdenken im Kapitalismus und der "reichen" Menschen, im allgemeinen fordern.

Die "da unten" machen sich ja nicht mal so eben aus Spaß gegenseitig platt. Da steht ja immer etwas dahinter. In deinem netten Link wird ja auch so gar nix erklärt warum, wieso, weshalb. Wobei, dafür kannst du eher nix. ARD und ZDF sind eher nicht dafür bekannt, Menschen aufklären zu wollen. Da kommen eben nur die nackten, reißerischen Nachrichten.
 
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