Diabetisches Koma

Skalp

assimiliert
Hallo :)

Gestern Mittag schickte meine Mutter an ihre drei Kinder einen kleinen Vierzeiler via Mail raus.
Ich hatte diese Mail erst abends gelesen.
Dennoch war ich der erste der diese Mail las und rief auch gleich bei ihr an. - Ohne Erfolg. Es hob niemand ab.

Meine Schwester wohnt in Berlin, mein Bruder in Dresden und ich bei Düsseldorf. Unsere Mutter wohnt in der Nähe von Siegen mitten in der Pampa.
Wenn also, egal beim wem, irgendetwas passiert wo man schnell mal vorbei muss wird es schwirig.
Dazu muss ich noch sagen, dass meine Mutter seit einigen Jahren ziemlichen Diabetes hat.
Im Prinzip hat sie ihn ganz gut unter Kontrolle.
Dank neuer Medikamenteneinstellung kann sie wieder essen was sie will und wann sie will. Sie muss sich halt nur ordentlich spritzen.

In der Mail stand, dass es ihr seit einigen Tagen nicht ganz so gut gehe und für den Fall, dass sie nicht erreichbar sei, sie sich wohl in eine Klinik verfrachten lasse. Wir sollen uns keine Sorgen machen, arbeitsfähig sei sie so nicht, wenn sie das Wochenende gut überstehe werde sie sich von ihrem Hausarzt aus dem Verkehr ziehen lassen.

So etwas kann man natürlich nicht einfach so auf sich beruhren lassen.
Wie gesagt rief ich gleich bei ihr daheim an und wie schon erwähnt hob keiner ab.
Da meine Schwester fast täglich mit Mutter telefoniert, dachte ich, dass sie mehr weiß und rief kurz danach in Berlin an. Meine Schwester hatte an diesem Tag natürlich nicht mit Mutter telefoniert, wußte aber bescheid, dass sie nicht ganz auf dem Damm war.
Die Mail hatte sie noch nicht gelesen. Dementsprechend waren ihr Mutters Krankenhausgedanken nicht bekannt.

Meine Schwester versuchte daruf hin Mutter über das Handy zu erreichen aber auch da hob niemand ab.
Als sie es dann nochmal auf dem Festnetz versuchte ging Mutter doch tatsächlich ans Telefon.
Meine Schwester berichtete mir im Anschluss von dem Gespräch und das war der Moment wo mir übel wurde und meine Knie anfingen zu schlackern.
Sie schilderte es folgender Maßen. >

Mutter klang wie einst unsere Großmutter geklungen hat. Die Mutter meiner Mutter die auch hochgradig an Diabetes erkrankt war. Noch dazu zum Schluss hochgradig Dement wurde.
Meine Mutter sprach am Telefon wie in Trance. Sehr tiefe Stimme, langsam wirres Zeug vor sich herlallend.
Es sei alles grün. :eek: Und sie wolle ins Bett aber sie kann nicht. Aus einem ganz einfachen Grund > es geht einfach nicht.

Nachdem Kathi (Meine Schwester) im Zuge darauf bereits einen Krankenwagen organisiert hat und mich danach anrief und das Gespräch schilderte war bereits klar, dass ich am heutigen Tag zu meiner Mama ins Krankenhaus fahren werde. Ich wohne am nächsten dran und habe dazu noch zwei Tage Urlaub.

Später am Abend rief mich Kathi wieder an und sagte, das der Notarzt sie abgeholt hatte. Mutter hatte wohl sehr benommen die Tür aufgemacht, nachdem der Doc heftigst gegen die Tür gedonnert haben muss und musste sie sich gleich den ersten Handgriffen des Notarztes unterwerfen.
Zuckerspritze, pures Glucosezeug in die Venen ...sofort.
Jetzt sei sie erstmal in guten Händen und wäre wieder wohl auf.

Beruhigter konnte man sich jetzt ins Bett legen und auf Morgen warten.
Die gute Mama hat sich schlicht und ergreifend ins Koma gespritzt.
Zu viel Insulin im Körper bedeutet kein Zucker im Blut.

Ich hab sie heute besucht und sie ist wieder ganz die alte, lustige und vitale Mutter.
Sie hat neben ein paar lichten Momenten vier Stunden im Wohnzimmer auf dem Boden gelegen und war bewustlos.
In diesen lichten Momenten war sie sich ihrer Situation anscheinend bewusst, denn sie wollte, so wie sie sagt, unbedingt raus aus diesem Zustand. Sie wollte nicht mehr frieren. Sie lag neben der offenen Balkontür.
Sie wollte ihre Nase jucken doch die Arme und Hände gehorchten ihr nicht mehr und schlugen ihr ins Gesicht.
Sie hat ihre Brille durchs Wohnzimmer geworfen und auf neben ihr liegende Bücher eingeschlagen, nur um etwas an dieser Situation zu ändern.
Zwischendurch klingelte das Telefon, sie konnte nicht abheben. Es ging einfach nicht.
Später klingelte wieder das Telefon und sie hat es geschafft ab zu heben.
Mit größter Mühe lallte sie wirres Zeug in den Apparat und teilte dem Gegenüber mit, dass alles grün sei.

Jetzt wissen wir auch warum sie alles grün gesehen hat. Sie starrte die ganze Zeit auf ihr Sondenmessgerät welches permanent den Blutzuckerspiegel mißt. Das Teil hat eine grünleuchtende Anzeige.

Jetzt kann man natürlich sagen, dass eine langjährige Diabetespatientin es doch wohl merken muss wenn der Zucker im Körper zu wenig wird und sie gefälligst Traubenzucker zu sich nehmen soll oder die Notfallglucoseampulle einwerfen wenn es hart auf hart kommt.
Es gibt aber Menschen die verlassen sich auf die Gerätschaften die einem verschrieben werden. Und wenn das gerät klipp und klar sagt, dass der Blutzucker viel zu hoch ist und man auf keinenfall etwas Essen sollte dann lassen diese Menschen es auch.
In diesem Fall war es so.
Das Messgerät zeigte einen Wert von 315wasweisich an (Normal ist um die 120wasweißch). Der Notarzt hat einen Wert von 43 gemessen was natürlich viel zu wenig ist. Aber genug um zu laufen und die Tür auf zu machen :rolleyes:
Der Körper hat sich den nötigsten Zucker wohl aus Muskel- und Fettreserven geholt. Vier Stunden hat das gebraucht um auf einen Wert von 43 zu kommen.


Die Krankenkassen zahlen die etwas teureren Messegräte einfach nicht mehr, dementsprechen bekommen die Leute nur noch das Blilligzeugs. Welches ja anscheinend nicht funktioniert und sich damit haufenweise Menschen ins Koma spritzen.
Mutter hat seit knapp einer Woche eines dieser "neuen" Messgeräte.
Eine Woche später liegt sie im Krankenhaus. (n)

Erstaunlicher Weise berichteten die Schwestern, das sich in letzter Woche vier weitere Patienten ins Koma gespritzt hätten. Das ist nicht so häufig der Fall.
Sie waren wohl den selben Anweisungen des selben Gerätes wie Mutter gefolgt.
Super, denkt man sich da.


Der Mama geht es wieder gut. Sie ist wieder auf Zuckernormalniveau und ihr Jüngster hat ihr Klamotten und Kosmetikzeug in die Klinik gebracht.
Sie bleibt jetzt noch für vier Tage im Krankenhaus bis sie komplett durchgecheckt wurde.

Ich sitze hier ganz alleine in Mamas Wohnung, weit ab vom Schuss und begieße die letzten 24h mit einer Flasche Frühburgunder.
Morgen früh geht es nochmal in die Klinik um Mama zu drücken und dann sind zwei Wochen Urlaub vorbei.
Dann wird die Rechtschutzversicherung beauftragt diesen Fall zu prüfen.

Als ich hier heute ins Wonzimmer trat war alles sehr ordentlich. Dennoch sah ich meine Mama dort am Boden liegen. Hilflos - allein - bewustlos - drei-vier Stunden lang.
Trotz dessen, dass es ihr jetzt wieder gut geht, wird es mir anders. Ganz anders.
 
Schlimm, dass die Menschen nur ans Geld denken und den Leuten, die es brauchen, den Billig-Scheiß (sorry) aufdrängen.

Kann man nur hoffen, dass das nicht nochmal vorkommt, oder du Erfolg hast, mit der Rechtsschutzversicherung^^

Und sonst sind wir ja zum Aufbauen da^^
 
Ich kann Deine Gefühle seeehr gut nachvollziehen.
Ich kenne einen Diabetiker . . .
. . . da kommt ab und solch ein Zustand vor.

Z.B. wenn er zuviel gespritzt hat für das, was er gegessen hat.

Dann sitzt er praktisch "neben" sich; redet unzusammenhängendes Zeug und weiß nicht, was real und unreal ist.

Gott sei Dank ist im Hinterkopf das Wissen um solche Situation und das Gefühl: "Ich glaube, ich muss jetzt Honig essen."

Bis jetzt ist es immer gut gegangen und kurze Zeit später waren die Werte wieder normal.

Ich kann nicht sagen, ob es bei Deiner Mutter wirklich an diesem Messgerät liegt, aber wenn sie sich angewöhnt, bei unnatürlich hohen Werten einfach kurze Zeit später eine Kontrollmessung zu machen, ist das Risiko sicher wesentlich geringer unterzuckert zu sein.

Alles Gute für Deine Mutter und den gestressten Sohn. :):):)
 
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