RollerChris
R.I.P.
Massiver Widerstand gegen Zensur im Internet
[ 08. April 2002 13:12:00 MEZ ]
Normalerweise sitzen Computerfreaks vor Ihren PCs und hacken auf die Tasten ein, was das Zeug hält. Doch am vergangenen Samstag gingen fast 300 von ihnen auf die Straße, um ihren Protest gegen die Zensur-Absichten der Bezirksregierung von Düsseldorf zu artikulieren. Diese will Internet-Nutzern den Zugang zu missliebigen Websites verwehren Droht die Entmündigung der Bürger?
Die Demonstration unter dem Motto "Wegfiltern ist Wegschauen " war vom Chaos Computer Club (CCC) und der Online-Demonstrations-Initiative ODEM initiiert worden, wie der CCC in einer Presseerklärung bekannt gab. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sammelten sich am Samstag um 14 Uhr in der Düsseldorfer Innenstadt, von wo aus der Demonstrationszug mit Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet seinen Anfang nahm.
Auf Transparenten und Plakaten mit Schlagworten wie "Zensur in China, Irak und NRW" oder "Zensur ist kein Konzept" machten die Teilnehmer ihrem Ärger über die Zensurversuche des Regierungspräsidenten Jürgen Büssow (SPD) Luft. Die Bezirksregierung in Düsseldorf plant, Internet-Nutzern in Nordrhein-Westfalen nur noch einen eingeschränkten Netzzugang zu ermöglichen. Im Ausland gelagerte Websits, die rechtsradikale oder fremdenfeindliche Inhalte verbreiten, sollen demzufolge für die Surfer gesperrt werden. Die Veranstalter der Demo setzen dem jedoch entgegen, dass eine solche Zensur-Maßnahme dazu beitrage, die gesellschaftliche Realität eher zu leugnen als das Problem tatsächlich zu lösen.
Recht auf Informationsbeschaffung
"Die Herstellung eines Klimas von kultureller Akzeptanz und die Auseinandersetzung auch mit extreme Strömungen im Rahmen eines gesellschaftlichen Disputs sehen wir durch eine staatliche Filterung der Netzkommunikation gefährdet" erklärte CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn die Motivation der Veranstalter.
Auf einem Demonstrationswagen bauten sich Computerfreaks vor ihren mitgebrachten Computern mit verklebten Mündern und Händen auf, um aufzuzeigen, dass nicht nur das Recht auf Informationsverbreitung, sondern auch das Recht auf Informationsbeschaffung unterbunden würde.
Die Organisatoren der Demonstration zeigten sich erfreut über den Erfolg der Aktion. "Wenn wir es schaffen, etwa 235 Computerfreaks vom Bildschirm weg auf die Straße zu locken, ist das Ausdruck eines ernsten Anliegens," meinte Ingo Schwitters vom CCC Köln am Rande der Demonstration.
Rote Netzwerkkarte für Regierungspräsident
Der anwesende stellvertretende Regierungspräsident der Bezirksregierung Düsseldorf Hans Jürgen Riesenbeck sah "rot": Als Mahnung wurde ihm von den Zensurgegnern die "rote Netzwerkkarte" überreicht.
Für eine Überraschung sorgte ein Demonstrant, als der Vertreter der Bezirksregierung eine Unterschriftenliste gegen die Filterpläne entgegennehmen wollte. Im Augenblick der Übergabe des beeindruckenden Papierstapel, der über 6500 Unterschriften enthält, löste sich plötzlich ein als Ordner verkleideter Demonstrant aus der Menge und nahm dem völlig verdutzten Regierungspräsidenten Jürgen Büssow den Karton mit den Unterschriften wieder aus der Hand.
"Herr Büssow - leider können wir nicht zulassen, dass sie sich mit diesen Demonstranten näher befassen", erklärte der Demonstrant und verschwand mit der Unterschriftenliste in der Menge. Als Ersatz reichten die Organisatoren Herrn Riesenbeck ein paar Ausgaben Micky-Maus-Hefte und Werbeprospekte. Dies sei, so die Organisatoren, das was überbleibt, wenn im Netz eine heile Welt vorgespielt wird. Büssow wollte die Mickey-Maus-Realität allerdings nicht entgegennehmen.
Zerstörung eines Kulturraums befürchtet
In einer eiligst veröffentlichen Pressemitteilung forderte die Bezirksregierung andere Provider in Deutschland auf, nicht gegen die Sperrverfügung vorzugehen. "Würden alle Provider in der Bundesrepublik Deutschland die unzulässigen rechtsextremistischen Angebote sperren, wären diese faktisch für 70 - 80 Prozent der Nutzer nicht mehr erreichbar."
Andy Mueller Maguhn, ICANN- Direktor und CCC-Sprecher erklärte in seinen Redebeitrag "In der Wirtschaft gibt es bereits Interessen noch viel umfassender die Informationsfreiheit des Internets den kommerziellen Begehrlichkeiten zu opfern und Filterprodukte zu verkaufen. Hinter den Versuchen der Bezirksregierung in Düsseldorf stehen die wirtschaftlichen Interessen der in Bonn ansässigen Firma Bocatel . Ähnliche Produkte werden bereits von der Musikindustrie gefordert. Hier beginnen wirtschaftliche Interessen, einen Kulturraum zu zerstören."
Bilder und Berichte von der Demo finden Sie hier , und an der Unterschriftenaktion gegen Netzzensur können Sie sich auf dieser Website beteiligen. Die Unterschriften werden noch bis zum Sommer gesammelt und dann offiziell übergeben.
Hintergrund der Aktion
Am 8. Februar 2002 hat die Bezirksregierung Düsseldorf laut CCC Sperrungsverfügungen gegen mehr als 80 Anbieter von Internet-Zugängen, sogenannte Access-Provider, erlassen. Die Bezirksregierung beruft sich dabei auf ihre Kompetenz als Landes-Aufsichtsbehörde für den gesetzlichen Jugendschutz und die "Ahndung von Ordnungswidrigkeiten" gemäß des Mediendienstestaatsvertrags. Die Regierung wolle damit erreichen, dass Internet-Benutzer in Nordrhein-Westfalen keinen Zugang mehr zu bestimmten Web-Seiten mit neonazistischen Inhalten erhalten.
Damit ist dem CCC zufolge in Nordrhein-Westfalen für Kunden von Internetanbietern, die sich dieser grundrechtefeindlichen Zensur-Maßnahme beugen, ein gefiltertes Internet entstanden. Zensur-Gegner ziehen Parallelen zwischen dem Vorgehen der Düsseldorfer Regierung und Staaten wie dem Iran, Irak oder der Volksrepublik China.
Den Sperrungsverfügungen waren zahlreiche Einzelmaßnahmen vorausgegangen. So hatte die Bezirksregierung bereits im November 2001 die Sperrung einzelner amerikanischer Websites verlangt. Einige Internet-Provider kamen diesem Wunsch nach und sperrten den Zugriff auf die betreffenden Neonazi-Sites. Provider wie der Düsseldorfer Citycarrier ISIS betonen dabei, dass sie nur auf Druck der Regierung in Düsseldorf handelten. Gab ein Internet-Nutzer die Adresse einer indizierten Website in seinen Browser ein, so landete er stattdessen auf einer Website der Bezirksregierung.
Gegner dieser Maßnahmen wenden sich gegen jede Art von Zensur im Internet. Internet-Nutzer sollen nicht bevormundet werden, sondern sich stattdessen selbst ein kritisches Bild von solchen Seiten machen können. Wenn diese Sperrung von Neonazi-Seiten Schule macht, ist zu befürchten, dass die Regierungen in anderen Bundesländern nachziehen. Außerdem stellt sich die Frage, wo man die Grenzen für Sperrmaßnahmen zieht. Regierungsstellen könnten immer mehr auf den Geschmack kommen und zunehmend "missliebige" Seiten aller Art sperren lassen. Dies hätte eine schrittweise Entmündigung der Bürger zur Folge.
Alle Hintergründe zum Vorgehen der Bezirksregierung in Düsseldorf finden Sie auf der Seite des CCC .
[ 08. April 2002 13:12:00 MEZ ]
Normalerweise sitzen Computerfreaks vor Ihren PCs und hacken auf die Tasten ein, was das Zeug hält. Doch am vergangenen Samstag gingen fast 300 von ihnen auf die Straße, um ihren Protest gegen die Zensur-Absichten der Bezirksregierung von Düsseldorf zu artikulieren. Diese will Internet-Nutzern den Zugang zu missliebigen Websites verwehren Droht die Entmündigung der Bürger?
Die Demonstration unter dem Motto "Wegfiltern ist Wegschauen " war vom Chaos Computer Club (CCC) und der Online-Demonstrations-Initiative ODEM initiiert worden, wie der CCC in einer Presseerklärung bekannt gab. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sammelten sich am Samstag um 14 Uhr in der Düsseldorfer Innenstadt, von wo aus der Demonstrationszug mit Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet seinen Anfang nahm.
Auf Transparenten und Plakaten mit Schlagworten wie "Zensur in China, Irak und NRW" oder "Zensur ist kein Konzept" machten die Teilnehmer ihrem Ärger über die Zensurversuche des Regierungspräsidenten Jürgen Büssow (SPD) Luft. Die Bezirksregierung in Düsseldorf plant, Internet-Nutzern in Nordrhein-Westfalen nur noch einen eingeschränkten Netzzugang zu ermöglichen. Im Ausland gelagerte Websits, die rechtsradikale oder fremdenfeindliche Inhalte verbreiten, sollen demzufolge für die Surfer gesperrt werden. Die Veranstalter der Demo setzen dem jedoch entgegen, dass eine solche Zensur-Maßnahme dazu beitrage, die gesellschaftliche Realität eher zu leugnen als das Problem tatsächlich zu lösen.
Recht auf Informationsbeschaffung
"Die Herstellung eines Klimas von kultureller Akzeptanz und die Auseinandersetzung auch mit extreme Strömungen im Rahmen eines gesellschaftlichen Disputs sehen wir durch eine staatliche Filterung der Netzkommunikation gefährdet" erklärte CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn die Motivation der Veranstalter.
Auf einem Demonstrationswagen bauten sich Computerfreaks vor ihren mitgebrachten Computern mit verklebten Mündern und Händen auf, um aufzuzeigen, dass nicht nur das Recht auf Informationsverbreitung, sondern auch das Recht auf Informationsbeschaffung unterbunden würde.
Die Organisatoren der Demonstration zeigten sich erfreut über den Erfolg der Aktion. "Wenn wir es schaffen, etwa 235 Computerfreaks vom Bildschirm weg auf die Straße zu locken, ist das Ausdruck eines ernsten Anliegens," meinte Ingo Schwitters vom CCC Köln am Rande der Demonstration.
Rote Netzwerkkarte für Regierungspräsident
Der anwesende stellvertretende Regierungspräsident der Bezirksregierung Düsseldorf Hans Jürgen Riesenbeck sah "rot": Als Mahnung wurde ihm von den Zensurgegnern die "rote Netzwerkkarte" überreicht.
Für eine Überraschung sorgte ein Demonstrant, als der Vertreter der Bezirksregierung eine Unterschriftenliste gegen die Filterpläne entgegennehmen wollte. Im Augenblick der Übergabe des beeindruckenden Papierstapel, der über 6500 Unterschriften enthält, löste sich plötzlich ein als Ordner verkleideter Demonstrant aus der Menge und nahm dem völlig verdutzten Regierungspräsidenten Jürgen Büssow den Karton mit den Unterschriften wieder aus der Hand.
"Herr Büssow - leider können wir nicht zulassen, dass sie sich mit diesen Demonstranten näher befassen", erklärte der Demonstrant und verschwand mit der Unterschriftenliste in der Menge. Als Ersatz reichten die Organisatoren Herrn Riesenbeck ein paar Ausgaben Micky-Maus-Hefte und Werbeprospekte. Dies sei, so die Organisatoren, das was überbleibt, wenn im Netz eine heile Welt vorgespielt wird. Büssow wollte die Mickey-Maus-Realität allerdings nicht entgegennehmen.
Zerstörung eines Kulturraums befürchtet
In einer eiligst veröffentlichen Pressemitteilung forderte die Bezirksregierung andere Provider in Deutschland auf, nicht gegen die Sperrverfügung vorzugehen. "Würden alle Provider in der Bundesrepublik Deutschland die unzulässigen rechtsextremistischen Angebote sperren, wären diese faktisch für 70 - 80 Prozent der Nutzer nicht mehr erreichbar."
Andy Mueller Maguhn, ICANN- Direktor und CCC-Sprecher erklärte in seinen Redebeitrag "In der Wirtschaft gibt es bereits Interessen noch viel umfassender die Informationsfreiheit des Internets den kommerziellen Begehrlichkeiten zu opfern und Filterprodukte zu verkaufen. Hinter den Versuchen der Bezirksregierung in Düsseldorf stehen die wirtschaftlichen Interessen der in Bonn ansässigen Firma Bocatel . Ähnliche Produkte werden bereits von der Musikindustrie gefordert. Hier beginnen wirtschaftliche Interessen, einen Kulturraum zu zerstören."
Bilder und Berichte von der Demo finden Sie hier , und an der Unterschriftenaktion gegen Netzzensur können Sie sich auf dieser Website beteiligen. Die Unterschriften werden noch bis zum Sommer gesammelt und dann offiziell übergeben.
Hintergrund der Aktion
Am 8. Februar 2002 hat die Bezirksregierung Düsseldorf laut CCC Sperrungsverfügungen gegen mehr als 80 Anbieter von Internet-Zugängen, sogenannte Access-Provider, erlassen. Die Bezirksregierung beruft sich dabei auf ihre Kompetenz als Landes-Aufsichtsbehörde für den gesetzlichen Jugendschutz und die "Ahndung von Ordnungswidrigkeiten" gemäß des Mediendienstestaatsvertrags. Die Regierung wolle damit erreichen, dass Internet-Benutzer in Nordrhein-Westfalen keinen Zugang mehr zu bestimmten Web-Seiten mit neonazistischen Inhalten erhalten.
Damit ist dem CCC zufolge in Nordrhein-Westfalen für Kunden von Internetanbietern, die sich dieser grundrechtefeindlichen Zensur-Maßnahme beugen, ein gefiltertes Internet entstanden. Zensur-Gegner ziehen Parallelen zwischen dem Vorgehen der Düsseldorfer Regierung und Staaten wie dem Iran, Irak oder der Volksrepublik China.
Den Sperrungsverfügungen waren zahlreiche Einzelmaßnahmen vorausgegangen. So hatte die Bezirksregierung bereits im November 2001 die Sperrung einzelner amerikanischer Websites verlangt. Einige Internet-Provider kamen diesem Wunsch nach und sperrten den Zugriff auf die betreffenden Neonazi-Sites. Provider wie der Düsseldorfer Citycarrier ISIS betonen dabei, dass sie nur auf Druck der Regierung in Düsseldorf handelten. Gab ein Internet-Nutzer die Adresse einer indizierten Website in seinen Browser ein, so landete er stattdessen auf einer Website der Bezirksregierung.
Gegner dieser Maßnahmen wenden sich gegen jede Art von Zensur im Internet. Internet-Nutzer sollen nicht bevormundet werden, sondern sich stattdessen selbst ein kritisches Bild von solchen Seiten machen können. Wenn diese Sperrung von Neonazi-Seiten Schule macht, ist zu befürchten, dass die Regierungen in anderen Bundesländern nachziehen. Außerdem stellt sich die Frage, wo man die Grenzen für Sperrmaßnahmen zieht. Regierungsstellen könnten immer mehr auf den Geschmack kommen und zunehmend "missliebige" Seiten aller Art sperren lassen. Dies hätte eine schrittweise Entmündigung der Bürger zur Folge.
Alle Hintergründe zum Vorgehen der Bezirksregierung in Düsseldorf finden Sie auf der Seite des CCC .